Warum sich mit dem Vorschlag des Schutzklaus-Bundesrats nichts ändert
Die Lösung, die noch keine ist

Der Bundesrat setzt ohne Segen der EU auf eine einseitige Schutzklausel. Damit präsentiert er eine Lösung, die noch keine ist. Denn ohne konkrete Zahl ändert sich an der EU-Einwanderung nichts.
Publiziert: 05.03.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 16:44 Uhr
Bundesrätliche Schutzklausel-Strategie: Alain Berset, Didier Burkhalter, Doris Leuthard, Johann Schneider-Ammann, Ueli Maurer, Simonetta Sommaruga und Guy Parmelin.
Foto: Bundeskanzlei/Edouard Rieben (BLICK-Fotomontage)
Nico Menzato und Christof Vuille

Gehauen oder gestochen: Der Bundesrat will mit einer Schutzklausel die Masseneinwanderungs-Initiative umsetzen. Wenn möglich mit dem Segen der EU. Wenn nötig auf eigene Faust.

Doch wie stark soll diese Schutzklausel die Zuwanderung reduzieren? Die Gretchenfrage beantwortet der Bundesrat weiterhin nicht.

Im gestern verabschiedeten Gesetzesentwurf sucht man vergebens nach einer Grössenordnung, geschweige denn einer Zahl. Auch liessen sich Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) nichts entlocken.

Die magische Zuwanderungszahl – sie bleibt im Sack der als Schutzkläuse getarnten Regierung.

Entschieden hat der Bundesrat hingegen, wer dereinst über dieses heisse Politikum befinden muss: eine Zuwanderungskommission bestehend aus Migrations- und Arbeitsmarktbehörden des Bundes und der Kantone. Der Staatssekretär für Migration, Mario Gattiker, und die Staatssekretärin für Wirtschaft, Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, werden zu den zentralen Figuren. Arbeitgeber und Gewerkschaften nehmen ebenfalls Einsitz – dürfen aber explizit nicht mitentscheiden.

Harte Aufgabe: Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch.
Foto: Keystone

Die Wirtschaftslage soll die maximale zulässige Einwanderung beeinflussen. Etwa das Bruttoinlandprodukt, die Arbeitslosigkeit oder das Arbeitskräftepotenzial. Schliesslich verlangte die SVP-Initiative explizit, die Höchstzahl müsse auf die «gesamtwirtschaftlichen Interessen» ausgerichtet sein.

Aber auch andere Faktoren wie der demografische Wandeln sollen in die Überlegungen des Super-Gremiums einfliessen. Ebenso die Migration der letzten Jahre. 2015 betrug die Nettozuwanderung (Einwanderung minus Auswanderung) 71'500, im Jahr zuvor knapp 79'000.

Sommaruga zeigt sich weiter optimistisch, dass mit der EU eine Lösung gefunden wird. «Es gibt keinen Grund jetzt den Bettel hinzuwerfen», sagte sie. Klar ist aber: Nach mehr als zehn Konsultations-Runden ist keine Einigung in Sicht. Und: bis zur Brexit-Abstimmung im Juni gibt’s keine weiteren Gespräche. 

Was wenn es zu keiner Einigung kommt? Für diesen Fall hat der Bundesrat gestern die Einführung der einseitigen Schutzklausel beschlossen – als «Plan B». Als «bestmögliche Zwischenlösung».

Diese Schutzklausel hätte Hochstzahlen und Kontingente zur Folge, wenn die Zuwanderung in einem Jahr den definierten Maximalwert überschreitet. Dies ist frühestens 2019 erstmals möglich. 

Dann würde wohl das grosse Zerwürfnis mit der EU beginnen. Denn: «Die einseitige Schutzklausel ist noch keine Verletzung des Personenfreizügigkeitsabkommens», so Sommaruga. Die konkrete Einführung von Höchstzahlen und Kontingenten hingegen schon. 

Ob es so weit kommt, ist aber offen. Jetzt ist erstmals das Parlament am Zug. Ob die einseitige Schutzklausel durchkommt, ist offen. 

Am deutlichsten positionieren sich die Sozialdemokraten. Sie lehnen eine einseitige Schutzklausel kategorisch ab. «Eine derartige Vertragsverletzung setzt die gesamten bilateralen Beziehungen und damit den Wohlstand der Schweiz aufs Spiel», begründet Fraktionschef Roger Nordmann. Eine einvernehmliche Lösung sei zwingend.

Die bürgerlichen Parteien drücken sich in ihren Stellungnahmen verklausuliert aus. FDP-Chef Philipp Müller spricht auf Anfrage von BLICK aber Klartext. Er bezeichnet die Botschaft des Bundesrats als «uralten Wein in nicht einmal neuen Schläuchen» und sagt: «Wer glaubt, dass mit der Bundesrats-Strategie auch nur ein Ausländer weniger in die Schweiz kommt, der träumt.» Die Regierung werde sich auf die Empfehlungen der Kommission stützen – und diese werde «extrem hoch» sein, glaubt Müller.

Dennoch ist er «persönlich dagegen, das Geschäft an den Bundesrat zurückzuweisen». Die FDP-Fraktion werde das Geschäft in der dritten Sessionswoche besprechen und beraten, ob man auf die Vorlage eintrete und einen «Prüfungsauftrag für einen Inländervorrang ans Departement schicken» soll.

Fast schon euphorisch zeigt sich die CVP. Die Vorlage sei «eine brauchbare Grundlage», teilt sie mit. Der von der Regierung vorgeschlagene Weg sei «die einzige Option». Das Parlament solle an die Arbeit – eine Rückweisung wäre für die CVP «Arbeitsverweigerung».

Der künftige SVP-Präsident Albert Rösti ist kritisch. Zwar lehne man eine Schutzklausel «nicht grundsätzlich ab». Das Problem sei aber, dass das Parlament nun über etwas diskutieren müsse «ohne die Wirkung zu kennen». Der Bundesrat hätte aufzeigen müssen, wie hoch die Zuwanderung mit seiner Variante in den letzten Jahren gewesen wäre.

Nur: Auch Rösti ziert sich, wenns um eine konkrete Zahl geht. Doch er verrät: «Sie sollte unter dem Bereich zu liegen kommen, den heute die echte Einwanderung in den Arbeitsmarkt betrifft.» Was er damit meint: Rund die Hälfte der Zuwanderer kommen wegen einem Job. Von 150'000 waren es 2015 rund 65'000. Heruntergebrochen auf die Nettozuwanderung von 71'000 wären es also weniger als 35'000.

Bleibt die Zuwanderung zu hoch, dürfte die SVP faktisch eine neue Durchsetzungs-Initiative starten. Rösti: «Wenn zu wenig passiert, werden wir eine Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit lancieren müssen.»

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