Stellen Sie sich vor, Universitäten in aller Welt hätten vor rund 80 Jahren den gesamten Goethe und Schiller aus ihren Vorlesungen gestrichen – weil sie Deutsche waren und Hitler andere Völker überfiel. Stellen Sie sich vor, die Schweiz hätte den damals hierzulande ansässigen Schriftsteller Thomas Mann überall ausgeladen – weil er Deutscher war.
Heute geschieht genau das: Universitäten streichen Dostojewski-Seminare, wie aktuell gerade die Mailänder Universität; russische Künstler werden reihenweise ausgeladen, jüngst die 28-jährige Cellistin Anastasia Kobekina, die in der Kartause Ittingen hätte auftreten sollen. Dies, obwohl sie sich gegen den Ukraine-Krieg und somit gegen Putin ausgesprochen hatte.
Übrigens ein gefährliches Unterfangen: Bereits bezeichnet Putin Russen, die mit seiner Politik nicht einverstanden sind, als «Volksverräter», vergleicht sie mit Insekten, die es auszuspucken gelte. Nazi-Jargon lässt grüssen. Was später folgte, weiss man. Es ist also für eine Frau wie Kobekina lebensgefährlich, sich öffentlich gegen Putin zu stellen – ausgeladen wird sie trotzdem. Weil sie Russin ist. Das ist nicht nur falsch, das ist dumm: Putins Propaganda nutzt jede Gelegenheit, um zu beweisen, dass «der Westen» Russland hasst. Künstler auszuladen, russische Lebensmittel zu boykottieren, spielt ihm in die Karten. Und es befeuert ein Anti-Russen-Sentiment, das die Fronten zusätzlich verhärtet.
Russischer Kultur verdanken wir Höhepunkte in klassischer Musik, Ballett, Literatur und auch Architektur. Russland ist nicht Putin. Genauso wie es jetzt notwendig ist, ukrainischen Flüchtlingen die Hände zu reichen, gilt es, in unser aller Interesse, zwischen Individuen und russischer Politik zu unterscheiden.