Grün gleich «vertraulich»: Das ist der Farbencode unter der Bundeshauskuppel. Wenn ein Papier mit der Farbe der Hoffnung gekennzeichnet ist, geben sich die Beamten besonders viel Mühe, dass es keine Indiskretionen gibt.
So wurde das grüne Papier über den Antrag von Simonetta Sommaruga an ihre Bundesratskollegen, auf einen Gegenvorschlag zur Rasa-Initiative zu verzichten, erst Anfang Woche ins Mitberichtsverfahren gegeben und an die Departemente verteilt.
Doch just die Bundesrätin selbst sorgte nun für eine fragwürdige Indiskretion. Wie die «Südostschweiz» berichtet, griff die Justizministerin vor der Bundesratssitzung vom Mittwoch höchstpersönlich zum Telefonhörer.
Sie informierte laut Informationen der Bündner Tageszeitung einen oder mehrere Parteichefs über den bevorstehenden Bundesratsentscheid. Sie werde ihren Regierungskollegen den Antrag stellen, auf einen Gegenvorschlag zur Rasa-Initiative zu verzichten. Und sie führte ihre Überlegungen aus, die sie zu diesem Entscheid gebracht hätten.
Telefonat mit der Bundesrätin wird von Gössi weder dementiert noch bestätigt
Doch wer genau war am anderen Ende der Strippe? Sicher sei: Einmal klingelte es bei FDP-Präsidentin Petra Gössi. Diese bestätigt den Austausch mit der SP-Bundesrätin nicht – dementiert aber auch nicht. Anders CVP-Präsident Gerhard Pfister. «Ich habe keinen Anruf von Bundesrätin Sommaruga erhalten», so der Zuger. Und er befindet: «Es ist meiner Meinung nach nicht üblich – und auch etwas problematisch, solange der Bundesrat als Kollegium nicht entschieden hat.»
Ebenso still blieb das Telefon bei SVP-Präsident Albert Rösti. Und er wundert sich über Sommarugas Telefonaktion: «Wenn das zutrifft, ist es unter dem Gesichtspunkt des Amtsgeheimnisses seltsam», sagt der Berner.
Wäre Sommarugas Antrag zuvor in den Medien gelandet, hätte sie wohl wie in der Vergangenheit schon Anzeige bei der Bundesanwaltschaft deswegen erstattet. Denn: Zum Zeitpunkt des Telefonats war das Geschäft eben grün = streng vertraulich!
Bei den Sozialdemokraten sorge das Verhalten ihrer eigenen Bundesrätin nicht für Irritation, sagen diese. SP-Generalsekretärin Flavia Wasserfallen: «Wir hatten am Dienstag keine Kenntnis vom Inhalt von Bundesratsunterlagen zum Rasa-Entscheid vom Mittwoch. Es gab im Vorfeld auch keinen Anruf von Bundesrätin Sommaruga an Präsident Levrat.»
Wussten Sommarugas Genossen etwa mehr als die anderen? «Wir stehen wie alle Parteien selbstverständlich in ständigem Austausch mit unseren Bundesratsmitgliedern», so Wasserfallen. «Im Fall Rasa konnten wir wie alle anderen seit längerer Zeit davon ausgehen, dass der Bundesrat nach der vernichtenden Vernehmlassung keinen Gegenvorschlag machen wird.» Im Übrigen sei dies «ja auch in den Medien» gestanden.
Doch warum griff die Bundesrätin zum Hörer? Offenbar wollte sie vorsorglich Verständnis für ihren Entscheid wecken. Noch im Herbst hatten ihre Bundesratskollegen unter Sommarugas Federführung einen Gegenvorschlag zu Rasa angekündigt. Das Nein am Mittwoch war also eine politische Kehrtwende.
Nicht korrekt
Sommarugas Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) wollte gestern konkrete Fragen nach dem Warum nicht beantworten, so die «Südostschweiz». Informationschefin Agnès Schenker sagt aber: «Selbstverständlich tauscht sich Bundesrätin Sommaruga regelmässig mit Mitgliedern des Parlaments oder Vertreterinnen und Vertretern verschiedenster Organisationen zu aktuellen Dossiers aus ihrem Departement aus.» Zum konkreten Fall sagt das EJPD: «Über Zeit und Inhalt von Gesprächen der Departementschefin informiert das EJPD nicht.»
Alles also halb so wild? Zumindest ist es nicht üblich. Der frühere Vizekanzler und Bundesratssprecher Oswald Sigg (SP), der jahrzehntelang für Bundesräte arbeitete, sagt: «Ohne den vorliegenden Fall zu kennen, würde ich sagen: Rein formal ist eine solche Information an einige wenige Parlamentarier im Vorfeld eines Bundesratsentscheids nicht korrekt.»
Die FDP folgte Sommaruas Ansinnen: Am Mittwoch teilten die Liberalen mit, dass «unter den aktuellen Umständen» ein Gegenvorschlag nicht nötig sei. Und auch die Kollegen von der SVP, SP und CVP haben sich nicht gegen Sommarugas Ansinnen gesperrt. Auch ohne dass ihr Parteitelefon geklingelt hatte. (vfc)