Warum für Birgit Kelle die katholische Kirche feministisch ist
«Wir haben Abtreibungen zur Normalität verkommen lassen»

Sie habe aus dem Bischof wieder den kleinen Buben gemacht, der am Rockzipfel der Mutter hängt: Wieso Birgit Kelle die Frauenrechte von Feministinnen verraten sieht, das «Mein Bauch gehört mir»-Dogma anprangert und wie sie ihren vier Kindern den Sex erklärte: Das grosse BLICK-Gespräch mit der streibaren Deutschen.
Publiziert: 25.11.2017 um 11:52 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:21 Uhr
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«Ab dem Zeitpunkt, in dem ein Kind in mir wächst, gehört mein Bauch auch ihm. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind beginnt vor der Schwangerschaft.» Birgit Kelle
Foto: Thomas Meier
Cinzia Venafro

BLICK: Der konservativste Bischof der Schweiz gibt Ihnen eine Carte blanche. Als erste Frau überhaupt dürfen Sie in seinem Namen sprechen. Für eine Anti-Feministin ist das paradox
Birgit Kelle:
Da sehen Sie mal, wie viele Vorurteile die Menschen gegenüber der katholischen Kirche und ihrem Frauenbild haben. Ich finde das gar nicht widersprüchlich. Ich staune, wie sehr ich gerade als Katholikin neuerdings für Frauenrechte kämpfen muss.

Sie behaupten im Ernst, der Katholizismus sei im Kern feministisch?
Er sieht die Frau ganzheitlicher. Ich habe mich als Frau nie diskriminiert gefühlt innerhalb der katholischen Kirche. Es ist ein alter Vorwurf, weil man immer nur über das Priesteramt spricht, das den Frauen vorenthalten wird. Da ist die plakativste Schlussfolgerung, dass deswegen die Katholiken frauenfeindlich sind.

Die Mutter Gottes ist die heiligste Figur der Katholiken, aber nur, weil sie jungfräulich geblieben sei.
Wenn Gott allmächtig ist, hätte er viele Möglichkeiten gehabt, seinen einzigen Sohn auf die Welt zu schicken – aber er hat ihn von einer Frau gebären lassen. Auch Jesus brauchte also eine Mama. Das ist ein sehr starkes Signal. Der Wert einer Frau misst sich nicht daran, wie viel Geld sie verdient oder welchen Posten sie hat.

Sie waren zwölf Jahre lang Hausfrau und haben vier Kinder.
Den Respekt dafür habe ich nie erhalten. Ich wurde für das Leben, das ich selbst gewählt habe, von selbst ernannten Feministinnen angegriffen. Meine Kirche hat mir stattdessen den Rückhalt gegeben, den die anderen mir verweigerten.

Darum ist Ihnen egal, dass Frauen nie katholische Priesterinnen werden dürfen?
Ja. Die Kirche ist kein Kaninchenzüchterverein. Da können wir nicht über unsere Hausregel basisdemokratisch abstimmen. Und man muss ja nicht dazugehören – jeder kann gehen, evangelisch werden oder seine eigene Kirche gründen, wenn diese Regeln nicht seine sind.

Sehen Sie sich als Schwester im Geiste von Bischof Huonder?
Als Katholiken sind wir Geschwister und uns in den Grundsätzen der Religion einig. Bischof Huonder wollte jemanden, der seinen Priestern das Thema Gender-Mainstreaming erklärt. Dann haben wir bei einem Mittagessen diesen Bischofsbrief ausgeheckt. 

Hat Huonder Sie zensiert?
Nein, der Text ist genauso, wie ich ihn abgegeben habe. Wir hatten einfach grob vereinbart, dass ich über Kinderrechte schreibe.

Und damit rühren Sie ihn zutiefst, wie er im Vorwort schreibt.
Ich kenne das Vorwort nicht. Aber auch ein Bischof ist letzten Endes der Sohn einer Mutter. Die Beziehung zur Mutter weckt in uns allen enorm viel: Kindheitserinnerungen, Entbehrungen …

... und da machen Sie den Bischof wohl wieder zum kleinen Buben, der am Rockzipfel hängt.
Wahrscheinlich, ja. (lacht)

Sie schreiben, wir würden «das Recht von Vierjährigen, zu wissen, wie Kinder gezeugt werden, schützen, nicht aber ihr Recht auf die Welt zu kommen». Wollen Sie etwa Abtreibungen und Sexualunterricht verbieten?
Nein! Aber wir haben Abtreibungen zur Normalität verkommen lassen.

Inwiefern?
Ich möchte nicht die Frauen anprangern, die in diesen Situationen oft unter enormem Druck stehen – und nicht selten mit der Verantwortung alleine sind. Ich prangere eine Gesellschaft an. Wir leben in den reichsten Ländern der Erde und schaffen es trotzdem nicht, Frauen davon zu überzeugen, ein Kind zu behalten. Wir bezahlen lieber die Abtreibung, anstatt ihnen ein Leben mit dem Kind zu ermöglichen. An diese Normalität will ich mich nicht gewöhnen. Zudem ist für manche Frauen Abtreibung zum Verhütungsmittel verkommen.

Feministinnen sprechen von einem Frauenrecht auf Abtreibung.
Das Recht, das eigene Kind zu töten? Das ist pervers. Eine Gesellschaft, die von Frauen erwartet, abzutreiben, ist verloren. Für das Kind spricht niemand mehr.

«Mein Bauch gehört mir» ist ein Kernsatz der Frauenbewegung.
Und das ist falsch! Ab dem Zeitpunkt, in dem ein Kind in mir wächst, gehört mein Bauch auch ihm. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind beginnt vor der Schwangerschaft. Verhütungsmittel bekommt man an jeder Strassenecke, und wir werden ja schon im Kindergarten aufgeklärt.

Das passt Ihnen ja auch nicht.
Ich will den Sexualkundeunterricht nicht abschaffen und ich kenne auch keinen Katholiken, der das will. Aber das soll bitte im richtigen Alter und mit den altersgerechten Themen passieren. Aber europaweit gibt es diesen schrecklichen Trend, immer Jüngere mit immer mehr Details aufklären zu wollen.

Wie haben Sie Ihren Kindern Sex erklärt?
Es gibt sehr süss gemachte Kinderbücher dafür. Ich war ja immer wieder schwanger und musste erklären, wie das Baby in den Bauch kommt. Aber das reicht dann auch. Mein Sohn fragte mit sieben: Mama, was ist eigentlich schwul?

Wenigstens weiss er, dass er Sie das fragen darf.
Ich hab es ihm mit Worten versucht zu erklären, von denen ich denke, dass er es versteht. Von Liebe unter Männern zu reden, reicht ja nicht. Er liebt auch seinen Papa, seinen Bruder und seinen besten Freund. Also war meine Antwort: Schwul ist, wenn Männer lieber Männer heiraten wollen statt eine Frau. Mehr wollte er auch nicht wissen. Die Frage, ob das Sünde ist oder nicht, überfordert ein Kind. Genauso wie die Frage, wie Sex geht bei Schwulen, wenn es doch keine Vagina gibt.

Für die katholische Kirche ist Homosexualität Sünde. Das ist doch schrecklich.
Die Frage nach richtig und falsch ist nicht schrecklich, höchstens anstrengend. Huonder zitiert einfach den katholischen Katechismus. Wo ist jetzt genau der Skandal? Genaugenommen wäre es fatal, wenn der Bischof das nicht vertreten würde.

Es gibt aber Hoffnung, dass die katholische Kirche mit Papst Franziskus seine Lehre überdenkt.
Na dann hoffen Sie mal. Die Kirche ist doch kein Wunschverein! Wenn sie daran glauben, dass die Regeln von Gott sind, können sie diese nicht per Mehrheitsentscheid ändern. Wir können ja auch nicht die zehn Gebote kürzen.

Woher rührt eigentlich Ihr Hass auf Genderforscherinnen?
Ich hege keinen Hass auf sie – sie geben mir Anlass für schallendes Gelächter. Ich suche noch immer die Forschung darin …

Sie schreiben: «Wer sich eine Gender-Ideologie zu eigen macht, die im Unterschied zwischen Mann und Frau nicht etwa die wunderbare Schöpfung Gottes erkennt, sondern die Unterdrückung der Vielfalt von Geschlechtern, der hat den Boden der Realität schon lange verlassen.»
Die Genderbewegten vertreten die These, es spiele keine Rolle, ob wir als Frau oder als Mann auf die Welt kommen. Du kannst dich selbst erschaffen. Das ist nicht das christliche Menschenbild, sondern eine Pippi-Langstrumpf-Welt.

Aber es gibt zwischengeschlechtliche Menschen.
Das ist aus Sicht von Evolutionsbiologen eine Entwicklungsstörung, eine biologische Anomalie. Das muss man scharf trennen von denjenigen, die sich in ihrem Kopf damit beschäftigen, ob sie nun Mann oder Frau sind. Selbst die WHO legt diese Identitätsstörungen immer noch als psychische Störungen ab.

Sie wurden auf Facebook gesperrt, weil Sie die verschleierte Hijab-Barbiefigur kritisieren ...
... und Feministinnen steinigen mich deswegen, ich sei islamophob. Aber hier wird das Symbol der Unterdrückung der Frau ins Kinderzimmer getragen. Das Kopftuch ist kein Stück Stoff, sondern ein politisches Symbol.

Es wird aber behauptet, es sei ein Symbol der Selbstbestimmung.
Freiwillig trägst du das nur so lange, wie du es wieder abnehmen kannst. Aber solange wir in der Welt Gesellschaften haben, in denen Frauen ausgepeitscht werden, weil sie Haar zeigen, solange sie gesteinigt werden, weil sie vergewaltigt wurden – weil ja die Frau die Schlampe ist –, solange wir solche Gesellschaften haben, sind wir im befreiten Westen dazu verpflichtet, diesen Schwestern zu helfen. Und sicher nicht deren Bemühungen zu untergraben, indem wir Barbies Hijabs anziehen und so tun, als wäre das ganz okay. Oder sogar ein feministischer Akt.

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