Die Stichwahl für den Bundespräsidenten war die spannendste Polit-Entscheidung, die Österreich in der Nachkriegszeit je erlebt hat. Während der Auszählung der Stimmen, die von Sonntag bis gestern Nachmittag dauerte, lagen die beiden Kandidaten bei genau 50 Prozent. Am Schluss triumphierte der Grüne Alexander Van der Bellen (72) mit 50,3 Prozent über den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer (45) . In Zahlen: Bei rund 4,5 Millionen abgegebenen Stimmen erhielt Van der Bellen 31 026 mehr.
Auch wenn der linke Alexander Van der Bellen gewonnen hat, muss man bedenken: Er siegte nur dank der Stimmen von Grün-, SPÖ- und ÖVP-Wählern. Norbert Hofer hingegen holte seine Stimmen vor allem aus dem rechten FPÖ-Lager.
So sagt der deutsche CSU-Aussenpolitiker und Präsident des Bundes der Vertriebenen, Bernd Fabritius, in deutschen Medien: «Ich finde es äusserst befremdlich, dass ein Rechtspopulist in einer Stichwahl 50 Prozent erhält. Das ist leichtsinniges Wahlverhalten.» Und er lobt SPÖ und ÖVP für ihren harten Kurs in der Flüchtlingspolitik. Fabritius: «Ohne die Schliessung der Balkanroute hätte Hofer klar gesiegt.»
Die Kommentare zum grossen Stimmenanteil der FPÖ sind zum Teil sehr aggressiv. Die Grüne Jugend Deutschland stellt die Hälfte der Wähler Österreichs sogar pauschal in die braune Ecke. Auf Twitter schreibt sie: «Österreich, was bist du nur für ein Naziland.»
Für den Schweizer Politologen Klaus Armingeon (61), Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politik und Europapolitik an der Universität Bern, bestätigt das Wahlergebnis, was sich in Österreich schon seit einiger Zeit abgezeichnet hat. «Die Bürger sind misstrauisch, sie haben die Bindung zu den traditionellen Parteien verloren, die beim ersten Wahlgang kläglich gescheitert sind», sagt Armingeon. Es sei nicht in erster Linie die Asyldebatte, die der FPÖ den Auftrieb gegeben habe. Vielmehr seien es Mauscheleien der regierenden Parteien hinter verschlossenen Türen. «Das führt zu einem unguten Gefühl in der Bevölkerung, zu Missverständnissen und Skandalen», sagt Klaus Armingeon zu BLICK.
Es sei daher vor allem Aufgabe der traditionellen Parteien, das Unbehagen in der Bevölkerung zu beseitigen und glaubhafte Alternativen zu bieten. Armingeon: «Das Resultat zeigt, was wir in der Schweiz schon kennen: Man muss die Ängste der Bevölkerung wahr- und vor allem ernst nehmen.»
Der Politologe glaubt nicht, dass sich in Österreich durch die Wahl Van der Bellens viel verändern wird. Armingeon: «Man darf dieses Amt nicht überschätzen. Bisher hat ein Bundespräsident noch nie seine Rechte voll ausgeschöpft. Ich zweifle sogar daran, dass Norbert Hofer von der FPÖ die Regierung ausgewechselt hätte. Die innenpolitische Verwerfung wäre viel zu gross gewesen.»