Wirds ernst, werden aus Freunden schon mal Feinde. In Opfikon ist es umgekehrt. In der Zürcher Agglo-Gemeinde wird am Sonntag gewählt: 36 Gemeinderäte, 6 Stadträte, 9 Schulpfleger, dazu die Sozialbehörde und die Kirchenpflege. Die 20'000-Einwohner-Stadt ist zugepflastert mit Wahlplakaten. Und wer genau hinschaut, stutzt. Auf manch einem prangen zwei Logos, die man sonst nie zusammen sieht: das der SP und jenes der SVP.
Die politischen Erzfeinde spannen im Wahlkampf um den Stadtrat zusammen. So wird die SVP-Kandidatin für das Schulpräsidium auch von der SP portiert. Und der lokale SVP-Präsident und Stadtratskandidat Richi Muffler (49) empfiehlt öffentlich die SP-Kandidaten zur Wahl. In einem gemeinsamen Positionspapier werden gar die Partei-Slogans fröhlich vermischt: «Schweizer Qualität – für alle statt für wenige!» Was ist denn da los?
«Kantonalpräsident musste leer schlucken»
SP-Co-Präsidentin Qëndresa Sadriu (23) sagt, auch sie seien erst überrascht gewesen, als man feststellte: Die eigenen Interessen decken sich mit jenen der SVP-Kandidatin für das Schulpräsidium. Das Amt ist insofern wichtig, als dass in Opfikon der Schulpflege-Präsident auch Einsitz in den Stadtrat nimmt. «Als sich die Mitteparteien dann zusammengetan haben, gab es für uns nur zwei Optionen: Entweder wir fahren alleine – oder wir nehmen den Gemeindeverein und die SVP mit ins Boot», erklärt Sadriu.
Und so wurden aus Kontrahenten Kooperationspartner. «Unser Kantonalpräsident musste morgens früh leer schlucken, als er davon erfuhr», erzählt Muffler. Aus seiner Sicht hätte die Zusammenarbeit aber sogar noch weitergehen können. SP- und SVP-Kandidaten auf einem Plakat? Für Muffler kein Problem. «Doch die SP lehnte schliesslich ab.»
Schlammschlacht um Untersuchungsbericht
Trotz des ungewöhnlichen Schulterschlusses: Von einem harmonischen Wahlkampf kann in Opfikon nicht die Rede sein. Während sich die Parteien die Hände reichen, tobt ein umso erbitterter Kampf zwischen den Kandidaten. Von einer «Schlammschlacht», einem «Hickhack», ja einem «Politkrieg» ist in lokalen Medien und deren Leserbriefspalten die Rede.
Ein Grund für den Krach ist der «Fall Jud», der seit Jahren immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Im Fokus steht dabei die Sozialvorsteherin Beatrix Jud, die einst der SP angehörte, dann zur SVP wechselte und nun als Parteilose erneut ins Rennen geht. 2015 war bekannt geworden, dass Jud nebst ihrem Lohn als Stadträtin eine volle IV-Rente bezieht.
Der Gemeinderat setzte daraufhin eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ein. Im Fokus dieser PUK stand aber rasch nicht mehr die IV-Frage, sondern Juds Arbeit im Sozialdepartement generell – beziehungsweise die vernichtende Kritik daran. So liest sich der Abschlussbericht eher wie eine persönliche Abrechnung, denn wie eine neutrale Analyse. Mitglieder der PUK: Sven Gretler (SP, 37) und SVP-Präsident Muffler, die nun beide in den Stadtrats-Wahlen gegen Jud antreten.
SP-Kandidat schwärmt über SVP-Konkurrent
Die PUK hat die beiden trotz ihrer unterschiedlichen Parteiideologien zu Verbündeten gemacht. «Wir kämpfen beide für mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit in der Stadt», sagt Muffler. Oder wie es Gretler mit einem Seitenhieb an die aktuelle Regierung formuliert: für «Good Governance», gutes Regieren. Zudem liegt beiden das Schulwesen am Herzen – eines der ganz grossen Themen in Opfikon, einer Stadt mit fast 50 Prozent Ausländern.
Spricht der SP-Kandidat über seinen SVP-Konkurrenten, traut man seinen Ohren kaum: Muffler, der selbsternannte «Hardcore-SVPler», von anderen auch als «Querulant» oder «Schaumschläger» bezeichnet, sei ein «kompetenter und integrer Kandidat», den er «mit gutem Gewissen» zur Wahl empfehle.
Innerhalb der SVP indes brodelt es. Nicht nur Jud tritt dieses Jahr nicht mehr für die SVP, sondern als Parteilose an: Genau das Gleiche muss auch der bisherige SVP-Stadtrat Bruno Maurer (47) tun. Der Bauvorsteher hegt sogar Ambitionen aufs Amt des Stadtpräsidenten. Seine Partei hat ihm aber jegliche Unterstützung versagt. Grund ist eine Affäre rund um den Ausbau einer Abwasserkläranlage, die in der Stadt ebenfalls hohe Wellen schlug.
Grosse Verwirrung in der Bevölkerung
In dem Polit-Chaos den Überblick zu behalten, fällt vielen Opfikern schwer. Laut SP-Präsidentin Sadriu habe man festgestellt, dass viele Wähler verwirrt und unsicher sind. «Uns werden mehr Fragen gestellt als bei den letzten Wahlen», sagt sie. Ein Bild, das sich im Gespräch mit der Bevölkerung bestätigt (siehe Umfrage unten).
Selbst SVP-Kandidat Richi Muffler ist verwirrt. «Ich habe keine Ahnung, was am Sonntag passiert. Das ist äusserst unangenehm», sagt er. Er kann den grössten Erfolg seiner Karriere einheimsen – oder aber kläglich scheitern. Falls Letzteres passiere, habe der Zufall vorgesorgt: Am Mittwoch verreist er für fünf Wochen in die Ferien.