Die Schweiz hat sich international zum Gespött gemacht. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit setzte unsere Justiz den Sommermärchen-Prozess in den Sand. Der Fall rund um dubiose Zahlungen im Umfeld der Fussball-WM 2006 in Deutschland ist diesen Frühling verjährt.
Der abgetretene Bundesanwalt Michael Lauber (54) hatte mit seinen unprotokollierten Treffen mit dem Präsidenten des Weltfussballverbands Fifa, Gianni Infantino (50), das Vertrauen in die Justiz weiter untergraben.
Droht der Schweiz in der Fifa-Affäre jetzt bereits die nächste Pleite? Vertrauliche Protokolle der Gerichtskommission, die BLICK vorliegen, lassen tatsächlich Böses erahnen.
Am Mittwoch soll das Parlament Stefan Keller (44) zum ausserordentlichen Bundesanwalt wählen – auf Empfehlung der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) sowie der Gerichtskommission von National- und Ständerat.
Fehler dürfte sich die Schweiz in den Verfahren rund um die Fifa längst keine mehr erlauben, will ihre Justiz noch einen Rest von Glaubwürdigkeit behalten. Längst muss sich unser Land dem Ruf einer Bananenrepublik entgegenstellen.
Doch die Mitglieder der Gerichtskommission klärten trotzdem bloss oberflächlich ab, ob Teilzeitrichter Keller für das schwierige Amt des Sonderermittlers gegen Lauber und Infantino geeignet ist. Das belegen die Protokolle eindrücklich.
«Wir betreiben ein Hochrisikospiel»
Die Kommissionsmitglieder waren sich nämlich sehr wohl bewusst, dass sie ihren Job hätten besser machen müssen: «Wir sind weit davon entfernt, Herrn Keller auf Herz und Nieren getestet zu haben», wird SP-Nationalrat Matthias Aebischer (52) im Protokoll zitiert.
GLP-Nationalrat Beat Flach (55) ist ebenfalls unwohl. «Wir verlassen uns jetzt darauf, dass das so funktionieren wird, im Wissen, dass die Qualität der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft nicht über alle Zweifel erhaben ist und unsere Abklärungen sehr oberflächlich waren», wirft er ein. «Wir betreiben in diesem wahrlich historischen Moment ein Hochrisikospiel.» Dennoch: Alle Anwesenden tragen den Entscheid, Keller zu empfehlen, mit.
«Ebenso gründlich abgeklärt wie bei einem Richter»
Allen Bedenken zum Trotz gibt sich Kommissionspräsident und FDP-Ständerat Andrea Caroni (40) vom Auswahlverfahren überzeugt. «Wir haben die Personalie ebenso gründlich abgeklärt wie bei einem Richter», betont er. Auch gründe die Wahlempfehlung auf dem Vertrauen in die AB-BA. Solange «nichts Eklatantes» gegen Keller vorliege, gebe es keinen Grund, von der Wahl abzuweichen.
«Setzen wir jemand anders ein, käme dies einem kompletten Misstrauensvotum gegen Herr Keller und die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft gleich», wird Caroni im Protokoll zitiert. Schliesslich sei Keller bereits an der Arbeit, wodurch sich auch Zeit sparen lasse.
Gegen Lauber, Infantino und den Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold (45) sind mehrere Anzeigen eingegangen. Die Vorwürfe: Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Begünstigung beziehungsweise Anstiftung zu diesen Straftaten.
«Kommission spielt russisches Roulette»
Die AB-BA hatte sich für Keller als ausserordentlichen Staatsanwalt eingesetzt. Dieser hat bereits erste Schritte unternommen. Allerdings befürchten viele, dass der Übereifer das gesamte Verfahren gefährden könnte. Denn solange Keller nicht offiziell im Amt ist, gibt es auch keinen offiziellen Auftrag für ein Strafverfahren.
BLICK legt das Protokoll SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (54) vor. Der Sportmanager verfolgt die Fifa-Affäre seit Jahren intensiv und hat zur Wahl des Sonderermittlers beim Bundesrat mehrere Anfragen deponiert. Das Protokoll belege, was er befürchtet habe: Es gab keine tiefgreifenden Abklärungen zur Person Keller. «Damit spielt die Kommission russisches Roulette und hofft, dass es gut geht. Aber wir dürfen uns wirklich keinen weiteren Flop mehr leisten.»
«Dann haben wir ein echtes Problem»
SP-Nationalrat Aebischer gab in der Kommission zu bedenken: Wenn Parteienvertreter, die in der Kommissionssitzung fehlten, «unseren Entscheid in der Öffentlichkeit infrage stellen oder kritisieren sollten, haben wir ein echtes Problem».
Doch das nahm man in Kauf. FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz (53) begründete dies so: «Denn alles andere als eine Wahlempfehlung für Herrn Keller hätte Konsequenzen, die weit schlimmer wären als die Wahl einer allenfalls nicht perfekten Person.»
Jetzt hoffen die Kommissionsmitglieder, dass Vincenz recht behält.