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Völkerrechtler kritisiert Ständerat wegen Ausschaffungsentscheid für Terroristen
«Das wäre Beihilfe zu Folter»

Das Parlament stellt das völkerrechtlich zwingende Rückschiebeverbot in Frage, wenn es um die Ausschaffung von Terroristen geht. Völkerrechts-Experte Walter Kälin ist besorgt. Die Schweiz dürfe im Kampf gegen den Terror nicht die eigenen Werte aufgeben.
Publiziert: 22.03.2019 um 23:11 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2019 um 09:09 Uhr
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Der emeritierte Völkerrechts-Professor Walter Kälin (67) warnt: «Wir dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, zentrale Grundwerte unserer Verfassung aufzugeben!»
Foto: Keystone
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Es war einer der brisantesten Entscheide, den das Parlament in der gestern zu Ende gegangenen Frühlingssession fällte: Terroristen sollen künftig auch in Staaten, in denen ihnen Folter oder die Todesstrafe droht, ausgeschafft werden. Das Rückschiebeverbot soll für sie nicht gelten.

Walter Kälin (67), emeritierter Professor für Staats- und Völkerrecht, war gerade an einer internationalen Konferenz in Uganda, als nach dem Nationalrat diese Woche auch der Ständerat Ja zum Vorstoss sagte. Dass auch die kleine Kammer bereit ist, zwingendes Völkerrecht in Frage zu stellen, damit habe er nicht gerechnet, sagt Kälin, als ihn BLICK nach seiner Rückkehr aus Ostafrika am Telefon erreicht.

BLICK: In der Schweiz halten sich verurteilte ausländische Dschihadisten auf, die als gefährlich gelten. Weil die Gefährder in ihrer Heimat selbst gefährdet sind, ist eine Ausschaffung unmöglich. Wie beurteilen Sie diese verzwickte Situation?
Walter
Kälin: Das ist zweifellos ein Dilemma. Wir müssen versuchen, pragmatische Lösungen zu finden. Dabei dürfen wir uns aber nicht dazu verleiten lassen, zentrale Grundwerte unserer Verfassung aufzugeben. Und das Folterverbot gehört definitiv zu den zentralsten Werten eines jeden westlichen Rechtsstaats. Folter unterscheidet sich in ihrer Grausamkeit von anderen Menschenrechtsverstössen. Wer gefoltert wird, ist meist lebenslang schwerst traumatisiert.

In der Bevölkerung, aber auch im Parlament verursacht der Umstand Unverständnis und Wut. Können Sie das verstehen?
Ja, das kann ich. Kein Verständnis habe ich aber dafür, wenn der Unmut so weit geht, dass wir uns als Folterknecht hergeben. Und die Aufgabe des Rückschiebeverbots würde genau das bedeuten: Beihilfe zur Folter. Dabei müssen wir realistisch bleiben: Die Gefährdung ist in der Schweiz insgesamt relativ beschränkt. Wenn man bereit ist, dafür zwingendes Völkerrecht aufzugeben, finde ich das sehr problematisch.

Das Parlament will die innere Sicherheit höher gewichten als die Grundrechte von Dschihadisten. Welche Tragweite hat dieser Entscheid?
Man wird sehen, wie der Bundesrat reagieren wird. Ich nehme an, dass er aufzeigen wird, dass die Schweiz nicht völlig hilflos ist, was die Rückschaffung von Gefährdern betrifft. So kann man beispielsweise versuchen, die Zusicherung von Staaten einzuholen, dass eine Person bei einer Rückkehr nicht gefoltert wird. Das allein reicht aber nicht aus. Vielmehr muss so eine Zusicherung dann auch durch die Schweizer Botschaft vor Ort durch regelmässige Gefängnisbesuche überwacht werden. Dann hätten wir eine Lösung, die in Einklang mit unseren Sicherheitsbedürfnissen ist – und mit den elementaren Rechten, die jeder Mensch hat. Auch ein Terrorist.

Ist das realistisch?
Das hängt vom Zielstaat ab. Ich weiss, dass es anderen Ländern gelungen ist, solche Zusicherungen zu bekommen. Es ist also durchaus möglich.

Was würde bei einem Verstoss gegen das Rückschiebeverbot geschehen?
So weit wird es nicht kommen. Würden die Behörden tatsächlich jemanden in einen Folterstaat zurückschaffen wollen, würde sie das Bundesgericht oder spätestens der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg stoppen. Die Bundesversammlung selbst hat 1996 eine Initiative für ein strengeres Asylrecht für ungültig erklärt, weil diese Rückschiebungen ermöglichen wollte. 1999 hat das Schweizer Volk zudem das absolute Verbot solcher Ausschaffungen in der neuen Bundesverfassung verankert.

Was bedeutet der Entscheid für die internationale Reputation der Schweiz? Schliesslich sind wir Depositarstaat Dutzender völkerrechtlicher Verträge.
Aus meiner Sicht geht es nicht so sehr um die Frage, was der Entscheid für unser Image im Ausland bedeutet – sondern für uns selbst. Die Frage ist: Wer sind wir als Schweiz? Sind wir ein Rechtsstaat und treten auch für die damit verbundenen Werte ein? Oder aber sind wir bereit, einzuknicken und unsere Werte aufzugeben? Wir dürfen uns nicht auf das Niveau der Terroristen herunterlassen und uns von ihnen unter Druck setzen lassen. Terrorismus ist letztlich ein Angriff auf die Grundwerte des westlichen Rechtsstaats. Und die Antwort auf diese Attacke kann nicht sein, dass wir nachgeben!

Was gibt es denn für Massnahmen, die völkerrechtlich vertretbar sind? Justizministerin Karin Keller-Sutter prüft derzeit, ob man Gefährder verwahren könnte. Eine rechtmässige Option?
Eine Verwahrung wird angeordnet, wenn jemand eine schwere Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Insofern ist das durchaus eine Option. Die Frage ist, welche Kriterien angewandt werden. Es müssen letztlich dieselben sein wie für andere Gewalttäter. Denn was nicht sein kann, ist, dass man jemanden wegen einer Ideologie verwahrt.

Kämpfer für die Menschenrechte

Walter Kälin (67) ist emeritierter Professor für Staats- und Völkerrecht an der Uni Bern und gilt als renommierter Menschenrechtsexperte. 2004 wurde er vom damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan zum Sondervertreter für die Rechte intern Vertriebener ernannt. Ein Amt, das er bis 2010 ausübte. Zudem war er während vieler Jahre Mitglied des Uno-Menschenrechtsausschusses und leitete von 2011 bis 2015 das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte. Heute arbeitet er als Berater für Bund, Kantone, Uno und Nichtregierungsorganisationen. Der gebürtige Schwyzer lebt mit seiner Frau im Kanton Bern und hat zwei Kinder.

Walter Kälin (67) ist emeritierter Professor für Staats- und Völkerrecht an der Uni Bern und gilt als renommierter Menschenrechtsexperte. 2004 wurde er vom damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan zum Sondervertreter für die Rechte intern Vertriebener ernannt. Ein Amt, das er bis 2010 ausübte. Zudem war er während vieler Jahre Mitglied des Uno-Menschenrechtsausschusses und leitete von 2011 bis 2015 das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte. Heute arbeitet er als Berater für Bund, Kantone, Uno und Nichtregierungsorganisationen. Der gebürtige Schwyzer lebt mit seiner Frau im Kanton Bern und hat zwei Kinder.

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