Auf einen Blick
- Amherd ist zufrieden mit den EU-Verhandlungen. Qualität war ihr wichtiger als Tempo
- Neutralität und Souveränität der Schweiz bleiben laut Amherd erhalten
- 92 von 160 eingeladenen Staaten nahmen an Ukraine-Konferenz teil
Erleichtert, Frau Bundespräsidentin? In den letzten Tagen Ihres Präsidialjahrs wurden die Verhandlungen mit der EU abgeschlossen.
Viola Amherd: Erleichterung ist das falsche Wort. Aber ich bin zufrieden, dass wir die Verhandlungen materiell abschliessen konnten.
Ihre Rechnung ging auf, Sie haben den Fotofinish mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erhalten.
Wir haben immer gesagt: Qualität vor Tempo. Ohne befriedigendes Resultat hätte der Bundesrat nicht so entschieden. Ich bin überzeugt: Durch längeres Verhandeln wird eine Sache oft nicht besser.
Mehrere kritisierte Punkte sind im Vertragstext immer noch enthalten. Sind Sie zuversichtlich, dass dieses Paket eine Mehrheit finden wird?
Das wird man sehen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Wir haben einen Meilenstein erreicht, aber nicht den Schlusspunkt. Am Ende entscheidet das Parlament und danach das Volk.
Schon am Beginn Ihres Präsidialjahrs stand ein Treffen mit Ursula von der Leyen: am WEF in Davos. Was haben Sie damals abgemacht?
Wir waren uns einig, dass sowohl die Schweiz als auch die EU daran interessiert sind, eine Lösung zu finden. Unsere Abmachung war: Sobald die Verhandlungsdelegationen spüren, dass etwas nicht vorwärtsgeht oder dass ein gröberes Problem auftritt, besprechen wir das bilateral miteinander.
In welcher Phase mussten Sie häufiger zum Telefon greifen?
Wir haben SMS ausgetauscht. Telefonieren mussten wir nicht so oft: Ich habe Frau von der Leyen dieses Jahr mehr als ein halbes Dutzend Mal getroffen.
Wie wichtig ist die Chemie, die persönliche Ebene?
Es ist immer von Vorteil, wenn man die Person auf der anderen Seite gut kennt. Dann kann man ungeniert anrufen und fragen: Wie sieht es aus, was wollen wir tun? Ich kenne Frau von der Leyen schon seit ihrer Zeit als deutsche Verteidigungsministerin.
Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard hat gefordert, dass Sie bei Frau von der Leyen etwas mehr für den Lohnschutz herausholen. Weshalb enttäuschen Sie ihn?
Herr Maillard muss nicht enttäuscht sein. Das Verhandlungsergebnis ist auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein gutes Resultat. Der Bundesrat ist überzeugt, dass wir mit der Non-Regression-Klausel eine gute Lösung gefunden haben. Sie bedeutet, dass bisherige Errungenschaften nicht verloren gehen.
Der politische Widerstand ist massiv. Wenn der Abstimmungskampf beginnt, sind Sie als VBS-Vorsteherin nicht zuvorderst dabei, Sie sitzen auch nicht im Europaausschuss des Bundesrats.
Richtig, mein Departement ist nicht in erster Linie betroffen. Als Bundespräsidentin hatte ich aber die Möglichkeit, in dieser Sache für das gesamte Gremium aufzutreten. Und das habe ich sehr gerne gemacht, weil ich überzeugt bin, dass wir eine gute Lösung und stabile Beziehungen zur EU brauchen. Diese Überzeugung bleibt mir, auch wenn ich nicht mehr Bundespräsidentin bin. Es wird ein Kommunikationskonzept des Bundesrats geben. Ausserdem ist der gesamte Bundesrat gehalten, Bundesratsentscheide zu vertreten.
Was würde ein Nein zum jetzt vorliegenden Paket bedeuten?
Das wäre für die Schweiz sehr schädlich. Noch haben wir bilaterale Verträge, die funktionieren. Die würden aber nicht mehr erneuert. Das heisst, wir hätten eine Erosion unserer guten Beziehungen. Und das merkt man nicht von heute auf morgen. Vielleicht auch noch nicht übermorgen. Aber mittelfristig würde ein grosser Schaden für die Schweizer Wirtschaft, für den Forschungsplatz, für den Finanzplatz angerichtet – für die ganze Schweiz und damit auch für die Bevölkerung. Wenn man es im täglichen Leben merkt, ist es bereits zu spät. Es ist Aufgabe der Politik, vorauszudenken, auf mögliche Schwierigkeiten aufmerksam zu machen und Lösungen zu präsentieren.
Sie geben sich zuversichtlich – aber wieso spaltet die Landesregierung das Paket dann in mehrere Abstimmungen auf?
Wir nehmen das Paket nicht auseinander. Es bleibt in einer Botschaft. Diese besteht wiederum aus verschiedenen Bundesbeschlüssen. Das ist nichts Ausserordentliches. Das gab es bei vergangenen Abstimmungen in Bezug auf die EU auch schon. Bei der Armeebotschaft gibt es das jedes Jahr. Demokratiepolitisch ist das sogar ein Vorteil. Man hat nicht ein Paket und sagt dem Volk: Vogel, friss oder stirb!
Es gibt ja noch andere Begehren zu diesem Thema wie die Nachhaltigkeits-Initiative der SVP und die Kompass-Initiative ...
... die die Beziehungen zur EU torpedieren würden.
Das sehen nicht alle so. Ihre Kritiker befürchten eine Preisgabe der Souveränität. Ein anderer Vorwurf an Sie lautet, dass Sie die Neutralität aufgeben. Wie neutral ist die Schweiz denn noch?
Die Schweiz ist neutral. Das ist wichtig. Und die Schweiz soll auch neutral bleiben. Wir respektieren in allen Punkten die neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen und wir haben auch keinen Kurswechsel vorgenommen bei der Neutralitätspolitik.
Sie rücken die Schweiz näher an die Nato.
Die Zusammenarbeit mit der Nato hat bereits unter SVP-Bundesrat Adolf Ogi mit der Partnerschaft für den Frieden begonnen. Es ist in keiner Weise die Idee, sich in die Nato zu integrieren oder eine Vereinbarung zu treffen, die die Souveränität der Schweiz beeinträchtigt. Alles, was wir in diesem Bereich tun, geschieht im Rahmen der Neutralität.
Zu Ogis Zeiten gab es keinen Ukraine-Krieg. Unter Ihrer Zuständigkeit als Verteidigungsministerin wurde die Zusammenarbeit mit der Nato intensiviert.
Das wurde mit dem sicherheitspolitischen Bericht 2021 vom Bundesrat genehmigt. Wir sind bewusst in diese Richtung gegangen. Gerade angesichts der weltweiten Krisen und des Kriegs in der Ukraine ist das notwendig.
Wieso haben Sie dann nicht die Russen an die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock eingeladen, wenn wir neutral sind?
Russland hatte schon im Vorfeld gesagt, bevor wir die Einladung verschickten, dass es sicher nicht teilnehmen werde. Womit sich diese Frage erübrigt hat.
Umso mehr hätte man – für die Galerie – eine Einladung verschicken können. Da wäre Ihnen viel Kritik erspart geblieben.
Wenn man für die Galerie arbeitet, würde das Kritik hervorrufen, und zwar zu Recht.
Es gibt ja noch andere Länder ausser Russland. Warum haben Sie auf den Bürgenstock nur 160 von 193 Uno-Mitgliedsstaaten eingeladen? Am Ende kamen 92.
Das EDA hat eine Abklärung vorgenommen. Es war wichtig, dass alle Weltregionen und möglichst viele Länder auf der Ebene von Staats- und Regierungschefs vertreten sind.
Wie kam die Konferenz eigentlich zustande? Haben Sie den Bundesrat am WEF überrumpelt?
Am 15. Januar kam Präsident Selenski zu Besuch nach Bern. Ich hatte zunächst ein 40-minütiges Vier-Augen-Gespräch mit ihm, in dem er den Wunsch geäussert hat, die Schweiz solle eine Friedenskonferenz organisieren. Für mich war klar, dass wir das unterstützen wollen – als Land mit einer humanitären Tradition, als Land der Guten Dienste und als Land, das dafür geschätzt wird, Dialogplattformen zu schaffen. Ich antwortete Präsident Selenski also, dass ich so eine Konferenz eine gute Idee finde. Vom persönlichen Gespräch sind wir dann ins Delegationsgespräch gegangen, bei dem auch Bundesrat Ignazio Cassis und Bundesrat Beat Jans dabei waren. Wir informierten die Delegation mündlich, worüber wir diskutiert hatten. Das wurde von meinen Kollegen angelobt, und so sind wir dann in den Bundesrat gegangen.
Was bleibt von der Bürgenstock-Konferenz ausser schönen Bildern und hohen Kosten?
Aus meiner Sicht war die Konferenz erfolgreich. Wir haben es geschafft, knapp 100 Staats- und Regierungschefs für einen Austausch in der Schweiz zusammenzubringen. Das hat es in dieser Grössenordnung noch nie gegeben – erst recht nicht in einer Zeit, in der man noch keinen Dialog geführt hat über einen möglichen Friedensprozess.
Von Frieden fehlt aber noch jede Spur.
Wir haben nie gesagt, dass es unser Ziel sei, auf dem Bürgenstock einen Friedensvertrag zu unterschreiben. Das wäre naiv gewesen. Das Ziel war von Anfang an, einen ersten Schritt im Prozess zum nachhaltigen und gerechten Frieden in der Ukraine zu machen. Das Echo der Teilnehmenden hat gezeigt, dass es richtig war, diese Plattform zu bieten. Wir konnten eine Schlussdeklaration unterschreiben, die ganz klar zum Ausdruck bringt: Ein Frieden muss auf der Uno-Charta und dem internationalen Recht basieren.
Bei welchen Punkten hätten Sie sich mehr erhofft?
Es wäre gut gewesen, wenn noch in diesem Jahr eine grosse Folgekonferenz stattgefunden hätte. Es haben jedoch verschiedene kleinere Konferenzen stattgefunden. Die Schweiz ist hier immer noch sehr stark engagiert und auch in Diskussionen, um zu helfen, eine zweite Konferenz an einem anderen Ort durchzuführen.
Können Sie etwas zum Stand dieser Nachfolgekonferenz verraten?
Es laufen viele und sehr intensive Gespräche, aber im Moment kann ich dazu nichts sagen.
Mit Donald Trump im Weissen Haus wird es eine neue Ausgangslage geben. Haben Sie ihm persönlich zur Wahl gratuliert?
Wir haben abgemacht, dass unsere gewählte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter Donald Trump telefonisch gratuliert. Von President-elect zu President-elect sozusagen.
Die SVP hat die Neutralitäts-Initiative lanciert, um die Schweizer Neutralität noch stärker in der Verfassung festzuschreiben. Was haben Sie dagegen?
Es würde bedeuten, dass wir praktisch keine Zusammenarbeit im Militärbereich mehr machen könnten. Das wäre ein Schaden für die Schweiz, gerade im Sicherheitsbereich. Neutralität wollen wir, wie bis anhin, respektieren. Das ist auch im Interesse des Landes, aber diese Auslegung wäre viel zu eng.
Gab es Momente, in denen Sie sich auf die Zähne gebissen haben und der Ukraine gerne mehr Hilfe geleistet hätten?
Die Schweiz hat der Ukraine im Bereich Humanitäres viel geholfen. Wir haben im Bereich Minenräumung viel gemacht und im Oktober in Lausanne eine Konferenz abgehalten. Dass wir nicht militärisch intervenieren oder Kriegsmaterial exportieren, wird von Präsident Selenski respektiert.
Hat sich Wolodimir Selenski damit abgefunden, dass er keine Panzer aus der Schweiz erhält? Steht wirklich nichts mehr zwischen Ihnen?
Korrekt.
Wobei die Schweizer Solidarität bereits bei Schutzwesten aufhört.
Dual-Use-Güter sind ein Thema, bei dem man abwägen muss. Das Parlament ist daran, das Kriegsmaterialgesetz zu revidieren – damit gäbe es schon mehr Möglichkeiten. Aber selbstverständlich immer im Rahmen der Neutralität.
Apropos Rüstung – Ihre F-35-Bestellung stiess bei Elon Musk auf Kritik: «Nur Idioten bauen die noch.»
Ich weiss nicht, ob Herr Musk Verteidigungsexperte ist. Weltweit werden F-35 gekauft – nicht nur in der Schweiz. Irgendwann wird es eventuell Drohnen geben, die Kampfjets ersetzen können, aber das liegt noch in weiter Ferne. Unbestritten ist: Drohnentechnologie wird immer wichtiger, deswegen engagieren wir uns auch vermehrt im Drohnenbereich.
Aber das VBS steht doch eher für ein Drohnendebakel – das Elbit-Projekt kommt überhaupt nicht zum Fliegen.
Es gibt ganz verschiedene Arten von unbemannten Flugkörpern. Diese Drohne 2016 – der Name sagt es – wurde 2016 in Auftrag gegeben und hat verschiedene Schwierigkeiten durchlaufen. Wenn sie kommt und funktioniert, ist das ein sehr gutes System. Andere Länder wollen diese Drohne ebenfalls kaufen.
Mit wie viel Motivation kehren Sie jetzt wieder in Ihr angestammtes Amt als VBS-Vorsteherin zurück?
Es gibt im Departement noch viele wichtige Dossiers. Viele konnten abgeschlossen werden. Arbeit hat es dort genug – für viele Jahre noch.
Das tönt nicht nach einem baldigen Rücktritt, von dem gerüchteweise immer wieder zu hören ist.
Ich finde es einigermassen interessant, dass diese Frage immer gestellt wird.
Dann stellen wir Ihnen eine andere Frage: Wie feiern Sie Weihnachten?
Ganz einfach und gemütlich in der Familie und mit Freunden.
Was gibt es bei Ihnen an Heiligabend zu essen?
In meiner Familie war Tradition: eine kalte Platte und Salat. Jetzt kocht manchmal meine Nichte, die kommt mit anderen Ideen, aber die lassen wir dann machen. Letztes Jahr gab es ein Fleischmenü mit Beilagen, die mir als Vegetarierin auch geschmeckt haben.
Sie haben einmal gesagt, Sie gehen an Weihnachten nicht mehr in die Kirche. Warum nicht?
Die Aussage wurde überhöht, das war kein Grundsatzentscheid. Wir feierten zu Hause immer alle zusammen, mit Grosseltern und sämtlichen Verwandten. Wir sassen gemütlich zusammen und kamen deshalb nie dazu, in die Mitternachtsmesse zu gehen.