Was früher Basel für sich beanspruchte, gilt heute für Bern: «Bern tickt anders!» Zumindest nach den gestrigen Wahlen, die beim neutralen Beobachter mehr als einmal ein Fragezeichen hinterlassen.
Dazu ein paar Müsterchen aus dem Berner Wahlspektakel:
Langsame Berner
Das Gerede von den «langsamen Bernern» mag ja kaum einer mehr hören. Und doch sind es die Berner selbst, die das Image des Lahmen befeuern. Angekündigt waren die Resultate auf 18 Uhr (Stapi), 20 Uhr (Gemeinderat) und 22 Uhr (Stadtrat).
Doch die Auszählung der Stimmzettel hinkte einmal mehr kräftig dem Fahrplan hinterher. So wurden die Stapi-Resultate erst um 18.30 Uhr, die Gemeinderats-Resultate erst gegen 21.30 Uhr und die Stadtrats-Resultate gar erst nach Mitternacht bekannt.
Schuld war, wie immer, die Informatik. Wie schon 2012 – damals wartete Bern noch länger auf die Stadtrats-Resultate. Grund: technische Panne. Und bei den kantonalen Wahlen 2015 sorgte auch die Stadt für Spannung: Es musste einer Fehlermeldung nachgegangen werden. Immer nur die IT? Das glaubt langsam keiner mehr.
Wahlfälschung
Auch das noch! Rund 300 Wahlzettel wurden mit der gleichen Handschrift ausgefüllt. Diese Zettel wurden für ungültig erklärt. Betroffen waren die Stadtpräsidiumswahl sowie die Gemeinderats- und die Stadtratsliste der SVP. Die Stadtkanzlei erstattet nun wegen des Verdachts auf Stimmenfang oder gar Wahlfälschung Strafanzeige gegen unbekannt.
Tele-Bärn-Timing
Der Regionalsender Tele Bärn versuchte mit Live-Berichterstattung zu glänzen. Dumm nur: Trotz Dauersendung verpasste der Sender souverän die Resultate. Bei Bekanntgabe des Stapi-Ergebnisses durch Stadtschreiber Jürg Wichtermann lief eine Werbung für ein Möbelhaus in Lützelflüh BE. Die Resultate gabs anschliessend vom Moderator. Beim Gemeinderat schaltete man erst beim dritten Namen ein. Vorher lief ein Trailer für den hauseigenen Medizin-Talk.
Dass die ersten beiden Gewählten Alec von Graffenried und Franziska Teuscher hiessen, konnte man nur erraten. Auch Moderations-Urgestein Michelle Renaud gab mit ihren Wahlinterviews im Rathaussaal zu reden. Nach der Gemeinderatswahl von Alec von Graffenried und Ursula Wyss schmatzte sie die beiden zunächst mal dick ab – und stellte erst dann ein paar Fragen. Kritische Distanz in der Polit-Berichterstattung? Fehlanzeige.
Selbstverschuldete Schlappe
Und natürlich, da war ja auch noch das Wahlresultat. Die Bürgerlichen mussten eine schwere Schlappe einstecken. Die kam selbstverschuldet: Die SVP hatte den Alleingang gewählt. Die FDP blieb damit ohne gewichtigen Bündnispartner, was prompt FDP-Mann Alexandre Schmidt den Kopf kostete. CVP-Mann und Atomausstiegs-Befürworter Reto Nause bleibt als einziger bürgerlicher Vertreter in der Berner Exekutive.
Linksrutsch
So links wie Bern tickt wohl keine Deutschschweizer Stadt. In der Stadtregierung besetzt das links-grüne Lager neu vier von fünf Sitzen. Und auch im Parlament legte die Linke nochmals zu – und besetzt nun 47 von 80 Sitzen.
Frauenpower
Frauen besetzen 38 von 80 Stadtratssitzen – fast die Hälfte. Zwei von ihnen sorgen schon seit langem für Schlagzeilen. Doch ein «Volksmandat» fehlte ihnen bisher. Juso-Schweiz-Chefin Tamara Funiciello zieht nun als neue Stadträtin in die Berner Legislative ein. Ebenso Ex-Ständeratskandidatin Claudine Esseiva von der FDP.