Gut verständlich, ja richtig laut erzählte heute in Bern der neue Nachrichtendienstchef Jean-Philippe Gaudin (55) von seinen ersten 100 Tagen im Amt. Das, obwohl die öffentliche Bühne eigentlich nichts für ihn sei: «Mein Platz ist die diskrete Arbeit. Je weniger Sonne und Medienspektakel, umso effizienter kann ich meinen Beruf ausüben», so der oberste Geheimdienstler.
Und Effizienz hat der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) laut Gaudin dringend nötig. Die Sicherheitslage der Schweiz sei nur vermeintlich ruhig, schlägt er Alarm. Feindliche Spionage, Cyberattacken, Terroranschläge: Gaudin sieht grossen Handlungsbedarf und klagt, dass die Kantone sich mehr Mithilfe vom NDB wünschten, als er mit seinen personellen Kapazitäten zur Verfügung stellen könne.
Zuhauf Spione und Plünderer
So gibt die Abwehr ausländischer Agenten ausserordentlich viel zu tun. «Alle spionieren alle aus», so Verteidigungsminister Guy Parmelin (58), der Gaudin vor den Medien begleitete. Der Bundesrat betonte, es gelte, die Schweiz vor «wirtschaftlicher und industrieller Plünderung» zu bewahren. In jüngster Zeit seien zudem rote Linien überschritten worden.
Diese sind laut Parmelin dann erreicht, wenn staatliche Institutionen wie das bundeseigene Chemiewaffen-Labor in Spiez oder internationale Organisationen ausspioniert würden. Damit spielte er auf die jüngst verhafteten russischen Spione an. Diesen konnte nur dank des neuen Schweizer Nachrichtendienstgesetzes das Handwerk gelegt werden, wie Gaudin durchblicken liess.
Weiter sprachen die beiden viel von Cyber-Attacken: «Die Situation ist besorgniserregend und wird sich nicht bessern», so Gaudin. Attacken auf elektronische Systeme fügten unserem Land schweren Schaden zu. Er habe daher seit Amtsantritt mehrere Sofortmassnahmen eingeleitet.
Dschihad-Rückkehrer bereiten Sorgen
Klare Worte fand Gaudin auch zur Terrorbedrohung. Der IS sei zwar so gut wie besiegt, und 2018 hätten die Anschläge deutlich abgenommen. Doch die Situation sei keineswegs ruhig. «Der Terror wird sich eher ausbreiten.» Der NDB erhalte regelmässig Hinweise. Auf die Kantone komme zudem die Rückkehr muslimischer Religionskämpfer zu. Diese würden teils mit Kindern und Frauen zurückerwartet.
Schliesslich geisselte Gaudin die wachsende Gewaltbereitschaft der Linksextremen. Dabei gehe es nicht einfach nur um Sachbeschädigungen. Vielmehr wachse die Gewalt gegenüber Personen, vorab gegenüber Angehörigen der Polizeikorps, was inakzeptabel sei.
Ende Jahr soll der Bundesrat über mehr Personal entscheiden
Der NDB hat daher mehrere Operationen am Laufen. Bis Ende Jahr will Gaudin seine Forderung nach mehr Personal genau beziffern. Ohne die Unterstützung ausländischer Nachrichtendienste gehe es aber auch künftig nicht. «Im Nachrichtendienst hast du zwar nie Freunde, aber zum Teil gemeinsame Interessen», so Gaudin.