Am Bundesstrafgericht in Bellinzona hat der Prozess gegen den früheren Gambischen Innenminister Ousman Sonko (54) begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Im Rahmen der Vorfragen führte Sonkos Verteidiger aus, dass für einen wesentlichen Teil der Anklagepunkte das Schweizer Strafgesetz nicht anwendbar sei. Zudem könnten vor dem 1. Januar 2011 begangene Taten – damals traten in der Schweiz die Straftatbestände zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kraft – wegen des Rückwirkungsverbotes nicht verfolgt werden.
Verteidiger erhebt schwere Vorwürfe gegen Bundesanwaltschaft
Der Verteidiger des ehemaligen gambischen Innenministers Ousman Sonko hat am ersten Prozesstag die Einstellung des Verfahrens gefordert und an die Adresse der Bundesanwaltschaft schwerwiegende Vorhaltungen gemacht. Das Bundesstrafgericht muss nun bis Dienstag über Fragen wie die Zuständigkeit der Schweiz entscheiden.
Der Genfer Anwalt erachtet grundlegende Rechte seines Mandanten als verletzt. Er geht sogar von heimlichen Ermittlungshandlungen der Bundesanwaltschaft in Gambia aus. Mit einer Analyse von Spesenabrechnungen der Bundesanwaltschaft und der Bundespolizei versuchte der Anwalt aufzuzeigen, dass für verschiedene Tage völlig unklar sei, welche Ermittlungshandlungen durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft durchgeführt worden seien.
Taten zwischen 2000 und 2016
Weiter führte er im Rahmen der Vorfragen aus, dass für einen wesentlichen Teil der Anklagepunkte das Schweizer Strafgesetz nicht anwendbar sei. Zudem könnten vor dem 1. Januar 2011 begangene Taten wegen des Rückwirkungsverbotes nicht verfolgt werden. Dann erst seien in der Schweiz die Straftatbestände zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kraft getreten. Auch seien die in Gambia als Auskunftspersonen Befragten nicht über ihre Rechte aufgeklärt worden.
Der Anwalt verlangte, die seiner Ansicht nach durch Fehler und Rechtsverletzungen belasteten Beweise aus den Akten zu entfernen. Weil danach kaum mehr Material für eine Anklage übrig bleibe, sei das Verfahren einzustellen.
Die Staatsanwältin zeigte zu den aufgeworfenen Punkten klar auf, weshalb ihrer Ansicht nach die Schweiz durchaus für die Verfolgung der angeklagten Straftaten zuständig sei. Sie verneinte die von Sonkos Anwalt postulierte Verjährung für einen wesentlichen Teil der Anklage.
Die Verjährungsfrage stellte sich in ähnlicher Weise im Prozess gegen den Liberianer Alieu Kosiah, der vergangenes Jahr zweitinstanzlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde.
Die Staatsanwältin bezeichnete die vom Verteidiger geäusserten Vorwürfe wegen Fälschungen, heimlicher Ermittlungen und eines für den Angeklagten nicht einsehbaren Paralleldossiers als «diffamierende Unterstellungen». Sie wies in diesem Rahmen sachlich und ruhig auf die Straftaten der falschen Anschuldigung und Ehrverletzungsdelikte hin.
Für Vergewaltigung verantwortlich
Die Vertreterinnen der insgesamt zehn Privatkläger und -klägerinnen untermauerten die Ausführungen der Bundesanwaltschaft, weshalb das Strafgesetzbuch und internationale Abkommen die Schweiz zur Verfolgung der angeklagten Straftaten verpflichten.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem Ex-Minister vor, vorwiegend in Mittäterschaft mit anderen Führungsmitgliedern von 2000 bis 2016 zahlreiche Verbrechen begangen zu haben. Für die mehrfache Vergewaltigung der Witwe eines getöteten Soldaten macht die Bundesanwaltschaft Sonko höchstpersönlich verantwortlich.
Alle Taten seien im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung während der Zeit des damaligen Präsidenten Yahya Jammeh geschehen und seien als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu qualifizieren.
Die in fünf Tatkomplexe aufgeteilten Anklagepunkte umfassen eine Zeitspanne von 16 Jahren, in denen Sonko innerhalb des Staatsdienstes Karriere machte. Er stieg ab Mai 2003 in der Staatsgarde schnell auf.
Prozess am Dienstag fortgesetzt
Im Februar 2005 wurde er zum Generalinspektor der Polizei ernannt und im November der Folgejahres zum Innenminister. Im September 2016 wurde er des Amtes enthoben. Vor seiner Festnahme im Januar 2017 lebte er unbehelligt im Durchgangsasylzentrum Kappelen-Lyss BE.
Der Prozess dauert bis voraussichtlich Ende Januar. Das beantragte Strafmass wird die Bundesanwaltschaft im Rahmen ihres Plädoyers bekannt geben. Der Prozess wird am Dienstag um 13 Uhr fortgesetzt. (SDA)