Es ist eine Schlappe für die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Vier vorläufig aufgenommene Personen aus Eritrea und China hatten vor dem Gerichtshof geklagt, dass ihr Recht auf Familienleben verletzt wurde. Dies, weil ihnen die Schweiz verweigerte, die engsten Familienangehörigen ins Land zu holen.
Ein solcher Familiennachzug wird unter anderem an die Bedingung geknüpft, dass eine Person nicht von der Sozialhilfe abhängig ist.
Der Gerichtshof in Strassburg kommt nun zum Schluss, dass die Sozialhilfeabhängigkeit zwar als eines von mehreren Kriterien in einer Gesamtsicht zu würdigen sei. Doch es brauche eine sorgfältige Interessenabwägung im Einzelfall.
Bedürfnisse nicht ordnungsgemäss abgewogen
So wurde zum Beispiel in einem Fall das Gesuch abgelehnt, obwohl die Person voll arbeitstätig ist. Ihr Lohn würde aber nicht für den Unterhalt von vier weiteren Familienangehörigen ausreichen. Der Betroffene hätte aber «alles getan, was von ihm erwartet werden konnte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und die Ausgaben seiner Familie zu decken».
Das Gericht ist der Ansicht, «dass die Behörden die Bedürfnisse der Beschwerdeführer nicht ordnungsgemäss gegeneinander abgewogen hätten». Nur in einem Fall bekam die Schweiz und damit das Staatssekretariat für Migration Recht. Die Schweiz muss nun Entschädigungen zwischen 5000 und 15'000 Euro bezahlen.
Nicht zum ersten Mal in der Kritik
Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweiz wegen des Familiennachzugs gerüffelt wird. Denn wer hierzulande nur vorläufig aufgenommen ist, darf gemäss Gesetz frühestens drei Jahre nach der Einreise ein Gesuch um Familiennachzug stellen. In vielen EU-Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Spanien ist das anders.
Das Staatssekretariat für Migration darf die Regeln nun aber nicht mehr länger strikt anwenden, das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden – und sich damit einem Leiturteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angepasst. Dieser hatte festgehalten, dass bei einer dreijährigen Wartefrist die Familie sehr lange getrennt wird. Bei einer Wartefrist von mehr als zwei Jahren müsse der Einzelfall individuell beurteilt werden und das Wohl des Kindes beachtet werden. Das Staatssekretariat für Migration prüfe nun Gesuche bereits nach eineinhalb Jahren, schrieb der «Tages-Anzeiger».
(bro/SDA)