Üble Beschimpfung, eventuell verleumderisch – aber keine sexuelle Belästigung: Vor fünf Jahren stellten Rapper des Kollektiv Chaostruppe aus dem Umfeld der Berner Reitschule den Song «Natalie Rikkli» ins Internet. Sie beschimpften die damalige SVP-Nationalrätin und heutige Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (43) in gewaltpornografischer Sprache.
Das Berner Obergericht verurteilte die fünf Rapper wegen Beschimpfung und übler Nachrede, sprach sie aber vom Vorwurf der sexuellen Belästigung frei. Die Staatsanwaltschaft zog das Urteil ans Bundesgericht weiter.
Sexuelle Belästigung im Internet?
Dieses musste nun in einem Präzedenz-Urteil entscheiden, was im Zeitalter der sozialen Medien und der «Metoo»-Bewegung als sexuelle Belästigung gilt – und was nicht. Gemäss Gesetz muss das Opfer eine sexuelle Belästigung «unmittelbar wahrnehmen». Die höchsten Richter hatten also zu entscheiden, was dies heutzutage bedeutet.
Und sie entschieden gegen Rickli und gegen alle Frauen, die künftig einer solchen Art der Belästigung durch sexistische Rapper ausgesetzt sind: Für eine Verurteilung wegen sexueller Belästigung fehle eben das erforderliche Kriterium der unmittelbaren Wahrnehmung durch das Opfer, heisst es im Verdikt.
Zwar urteilten die Richter, es handle sich «zweifellos um einen groben verbalen Angriff». Auch sei eine körperliche Präsenz des Täters und des Opfers für eine Verurteilung nicht zwingend erforderlich.
«Stand Opfer offen, Text anzuhören oder dies zu unterlassen»
Aber die Rapper hätten sich, so das Bundesgericht, mit der Veröffentlichung des Songs im Internet nicht direkt an Natalie Rickli gewandt, sondern an ein ihr gegenüber kritisch eingestelltes Publikum. Die Rapper hätten zudem keine Bemühungen unternommen, Rickli den Song zukommen zu lassen. Diese habe erst eineinhalb Jahre nach der Veröffentlichung davon Kenntnis erhalten. 2016 wurde der Schmähsong auf Ricklis Facebook-Konto gepostet.
Im Urteil des Berner Obergerichts heisst es als Begründung, wieso die Rapper keine sexuellen Belästiger sind, wörtlich: «Ihr (Natalie Rickli) stand es – im Gegensatz zu direkten Äusserungen gegenüber einem anwesenden Opfer – offen, den Text anzuhören bzw. zu lesen oder dies zu unterlassen.»
Rickli feiert immerhin Teilsieg
Strafrechtsprofessor und SP-Ständerat Daniel Jositsch (54) kritisierte das Urteil im SonntagsBlick. Der Tatbestand der «Sexuellen Belästigung» sei vom Gesetzgeber geschaffen worden, als soziale Medien noch keine Rolle gespielt hätten. «Es wäre daher ohne Probleme möglich, den geltenden Tatbestand auch im Zusammenhang sozialer Medien auszulegen», so Jositsch.
Immerhin: Rickli konnte vor Bundesgericht einen kleinen Sieg gegen die Sexisten-Rapper feiern. Die höchsten Richter verpflichten das Berner Obergericht nochmals zu prüfen, ob anstatt des Tatbestandes der üblen Nachrede derjenige der Verleumdung erfüllt ist.
«Natalie Rickli nimmt das Urteil des Bundesgerichts zur Kenntnis, wird es aber nicht kommentieren», sagt ihr Sprecher Patrick Borer auf BLICK-Anfrage. Grundsätzlich jedoch hoffe sie, dass die Musiker zur Einsicht gelangen, dass es Grenzen gibt und sie ihre Lehren daraus ziehen würden.