Unsinn Erbschaftssteuer
Der Staat wird zum Milliarden-Absauger

Saugt uns der Staat aus, wenn wir am 14. Juni Ja zur Erbschaftssteuer-Initiative sagen?
Publiziert: 07.06.2015 um 18:54 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:44 Uhr
Easyvote: Die Erbschaftssteuer
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:Easyvote: Die Erbschaftssteuer
Von René Lüchinger

«Erbschaftssteuer-Reform»: So lautet der Titel der Initiative, über die das Volk am kommenden 14. Juni abzustimmen hat. Diese sogenannte Reform befeuert ­einen einfachen Umverteilungsmechanismus. Die Reichen sollen die klamme AHV sanieren (siehe Box). Das klingt vordergründig sozial und gesellschaftspolitisch vernünftig. Stimmt dieser Eindruck? Oder entscheidender noch: Was würde diese neue Bundessteuer für KMU, für den Mittelstand, für erbende Ehepartner und deren Kinder bedeuten?

Diese Steuer kostet Jobs bei Klein- und Mittelbetrieben

Zunächst: 78 Prozent der Schweizer KMU sind Familienunternehmen. Über ein Fünftel dieser Familienunternehmen planen eine Nachfolge in den nächsten fünf Jahren, knapp 16 Prozent in den nächsten zwei Jahren. Bis 2020 sind 446 000 Arbeitsplätze in knapp 71 000 Unternehmen von einer Eigentumsübergabe betroffen. Dies zeigt, dass diesem Urnengang eine eminente volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt. Mehr noch: «Unbestritten ist, dass eine nationale Erbschaftssteuer für viele KMU eine enorme zusätzliche Belastung bedeutet», urteilt Peter Uebelhart, Steuerexperte und Leiter Steuern beim Beratungsunternehmen KPMG. «Nachfolgeregelungen werden unnötig erschwert, der Firma werden Liquidität und Substanz entzogen, Unternehmertum und Wettbewerbsfähigkeit werden eingeschränkt.»

Die Initianten reden zwar von «besonderen Ermässigungen» im Sinne von erhöhten Freibeträgen und reduzierten Steuersätzen bei der Unternehmensnachfolge, sofern die Unternehmen während mindestens zehn Jahren durch die Erben weitergeführt werden. Doch vieles davon ist im Initiativtext nicht klar geregelt. «Diese Rechtsunsicherheit ist Gift für den Familienunternehmer», weiss Steuerexperte Uebelhart. Zudem sind Nachfolgeregelungen in Unternehmen auch ohne eine solche Steuer bereits komplex genug.

Entscheidend ist aber: Was bewirkt diese Erbschaftssteuer dort, wo es für den Familienunternehmer ums Überleben seiner Firma, um Arbeit und Jobs geht? Das Beratungsunternehmen KPMG hat dafür zwei exemplarische Fälle zusammengestellt.

Da ist einmal jener Einzelunternehmer, nennen wir ihn Reto Bühler, der eine Bäckerei mit einem Café betreibt. Ein schönes KMU, dessen Wert sich zu fünf Millionen Franken aus Liegenschaften oder Maschinen, zu drei Millionen aus Warenvorräten und zu einer Million aus Liquidität zusammensetzt. Diesen neun Millionen Franken Aktiva steht ein Darlehen von zwei Millionen Franken gegenüber. Als der Unternehmer unverhofft stirbt, erben die Töchter, nennen wir sie Anna und Elsa. Anna übernimmt die Bäckerei, Elsa führt das Café weiter. Während die Bäckerei floriert, floppt das Café – Elsa verkauft es notgedrungen nach nur zwei Jahren.

Punkto Erbschaftssteuer wird dies zum komplexen Fall. Der Vater hinterlässt eine Firma im Wert von sieben Millionen Franken – Aktiva minus Darlehen. Davon sind die zwei Millionen Freibetrag abzuziehen, wie dies die Initianten vorsehen. «Gibt es keine weitere Ermässigung, würde eine Nachlasssteuer in Höhe von einer Million fällig, ein Fünftel des Werts der Firma minus Freibetrag», sagt Experte Uebelhart. «Dies bedeutet, dass die gesamte Liquidität der Firma für die Erbschaftssteuer eingesetzt werden müsste.»

Nicht klar ist in diesem Fall insbesondere, welche Auswirkung das Postulat, den Betrieb zehn Jahre weiterführen zu müssen, um Steuererleichterung oder gar befreiung zu erlangen, zeitigen würde. Sowohl für Anna, die nicht verkauft, als auch für Elsa, die lange vor dieser Frist aussteigen muss. «Klar ist nur, dass die Erbschaftssteuer als Nachlasssteuer das gesamte Erbe des Erblassers erfasst», betont Uebelhart. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass durch das vorzeitige Aussteigen von Elsa die ganze Steuererleichterung – auch für Anna – dahinfällt.

Kleine Familienfirma kleine Sorgen, grosse Familienfirma grosse Sorgen, liesse sich mit Blick auf jenes IT-Unternehmen urteilen, welches der Sohn nach dem Tod des Gründers erbt, nachdem er während Jahren beim Vater mitgearbeitet hatte – nennen wir ihn Peter Fuchs. Es ist eine stolze Aktiengesellschaft mit 50 Mitarbeitern und einem Wert von 30 Millionen Franken. Und so ist der Alleinerbe gewillt, das Unternehmen auch in den nächsten zehn Jahren weiterzuführen. Schliesslich hatte der Vater sein ganzes Vermögen in die Firma investiert – mehr zu erben gibt es also nicht.

«Sollte bei Unternehmensnachfolgen eine Freigrenze von fünf Millionen Franken festgelegt werden, würden auf 25 Millionen 20 Prozent Erbschaftssteuer fällig, soweit für solche Fälle kein tieferer Satz vorgesehen wird», sagt Steuerexperte Uebelhart. «Die Steuer betrüge in diesem Fall fünf Millionen Franken.»

Firmenbesitzer Peter Fuchs hat nicht viele Alternativen, an so viel Bares für den Fiskus heranzukommen. Er könnte einen Teil der Aktien verkaufen. Nachteil: Der Erbe wäre nicht mehr Alleinherrscher im eigenen Betrieb, und neue Aktionäre würden für ihre Investition satte Dividenden erwarten. Der Erbe könnte sich eine sogenannte Substanzdividende auszahlen.

Allerdings: Da keine überschüssigen finanziellen Mittel vorhanden sind, wäre dies nur über eine Teilliquidierung des Betriebs möglich, oder dieser müsste sich verschulden, und bei Peter Fuchs würde zudem eine hohe Einkommenssteuer fällig. Auch keine gute Idee also. Er könnte ein privates Bankdarlehen aufnehmen. Aber auch bei dieser Alternative wäre der Preis hoch. Um die Schuldzinsen begleichen zu können, wäre der Erbe auf hohe Dividenden aus der Firma angewiesen.

«Welche Variante Peter Fuchs auch wählt, die Folgen für seinen Betrieb wären negativ», urteilt Uebelhart. «Der Firma würde Liquidität entzogen, was zu Kosteneinsparungen und im Extremfall zu Arbeitsplatzabbau führen würde. Der unternehmerische Freiraum wäre entsprechend verengt.»

Dass eine solche Erbschafts- und Schenkungssteuer an die Substanz der KMU geht, zeigt auch eine Studie des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers im Auftrag des Wirtschaftsverbands Economiesuisse. Darin heisst es: «Bei Familienunternehmen bewirkt die Erbschaftssteuer einen Substanzverlust von 20 bis 50 Prozent des Eigenkapitals oder blockiert entsprechende Mittel über zehn Jahre.» Auch ein höherer Freibetrag, errechneten die Autoren der Studie, würde die KMU nicht entlasten: «Bei den untersuchten Familienunternehmen mit über 250 Mitarbeitern fällt bei Gewährung der höheren Entlastung in Form eines zusätzlichen Freibetrages von 20 Millionen Franken und einem Steuersatz von lediglich noch fünf Prozent eine Erbschaftssteuer in der Höhe von sechs Prozent des Eigenkapitals an. Zur Kompensation dieses Verlusts muss der nachträglich benötigte zusätzliche Gewinn während zehn Jahren rund sieben Prozent über dem bisherigen liegen», heisst es dort. Und selbst sehr kleine KMU würden in den Erbschaftssteuer-Schraubstock genommen. «Würde der durch die Initianten ursprünglich ins Spiel gebrachte zusätzliche Freibetrag auf dem Unternehmenswert von lediglich acht Millionen Franken herangezogen», heisst es in der Studie abschliessend, «wären auch die kleineren untersuchten Unternehmen mit zehn bis 49 Mitarbeitern bereits von der Erbschafts- und Schenkungssteuer betroffen.»

Ob Kinder oder Pöstler – alle zahlen gleich viel

In intakten Familien ist dies der Normalfall: Die Eltern wollen ihr Vermögen im Todesfall an ihre Kinder vererben. Aus diesem Grund sind bei den meisten heute gültigen kantonalen Erbschaftssteuern die direkten Nachkommen von der Steuer befreit. Da es sich bei der zur Abstimmung gelangenden nationalen Erbschaftssteuer um eine Nachlasssteuer handelt, die das Erbe als gesamtes erfassen soll, wird nicht mehr nach dem Verwandtschaftsgrad differenziert. «Das noch immer gängige Lebensmodell wird durch die Initianten der Erbschaftssteuer negiert», sagt Peter Uebelhart, Steuerexperte beim Beratungsunternehmen KPMG. Dies zeigen die folgenden, fiktiven Modellrechnungen.

Eine Witwe, nennen wir sie Elsa Meyer, will ihr Einfamilienhaus am Zürichberg der Limmat-Metropole an ihre vier Kinder vererben. Schliesslich haben diese dort ihre Kindheit und Jugendzeit verlebt. Das Haus hat einen Verkehrswert von fünf Millionen Franken – ohne Berücksichtigung der anfallenden Steuern erbt jedes Kind 1,25 Millionen Franken. Die neue nationale Erbschaftssteuer erfasst den gesamten Nachlass. Und dies bedeutet, dass nach Abzug des Freibetrags 20 Prozent Steuern auf drei Millionen Franken fällig sind, also 600 000 Franken.

Ein zweiter Fall mit analoger Ausgangslage. Eine kinderlose Witwe, nennen wir sie Emilia Sieber, will das gleiche Haus testamentarisch an den Briefträger vererben. Schliesslich hat der Mann ihr über Jahre zuverlässig die Post vorbeigebracht und war auch immer für einen Schwatz zu haben, was der einsamen Dame immer gutgetan hat. Auch hier fällt nach der neuen Erbschaftssteuer eine Besteuerung von 600 000 Franken an. Der Verwandtschaftsgrad spielt also keine Rolle mehr, der Staat soll nehmen, von wem auch immer.

«Würde Elsa Meyer ihr Haus heute an ihre Kinder vererben, wäre dies im Kanton Zürich steuerbefreit», sagt Steuer­experte Uebelhart, «während der Pöstler als Nichtverwandter eine Erbschaftssteuer von 1,8 Millionen bezahlen müsste.» Bei der neuen Erbschaftssteuer würde das alles keine Rolle mehr spielen: Ob ein Kind, vier Kinder oder ein Pöstler – alle zahlen und alle zahlen gleich viel.

Doppelverdiener im Visier

Ein beliebiger Leserbrief dieser Tage im Blick: «Jeder, der für seinen Lohn hart arbeiten und diesen auch noch versteuern muss, muss Ja für die Initiative stimmen», schreibt ein Herr Amrein. «Es kann doch nicht sein, dass die Superreichen ohne Arbeit immer reicher werden, ohne etwas dafür zu tun, und nicht mal die Kapitalgewinne versteuern.»

Die Message ist klar: Man nehme das Geld von den reichen Erben und stecke es in die AHV, damit die gar nicht Reichen, die Armen und der breite Mittelstand auch etwas haben von dem, was die Reichen haben.

Die Frage ist jedoch: Ist die Vorstellung richtig, dass die geplante Erbschaftssteuer nur die wirklich Reichen erfasst? Oder müssten auch etwas besser gestellte Mittelständler damit rechnen, in den Fokus des Fiskus zu geraten? «Es lohnt sich für den Mittelstand, sich mit dem Thema Erbschaftssteuer zu befassen», sagt Peter Uebelhart, Steuerexperte beim Beratungsunternehmen KPMG, «denn auch dieser fällt schnell einmal unter die neue Steuer, vor allem wenn auch Immobilien vererbt werden.»

Dies zeigt folgende Modellrechnung eines Doppelverdiener-Ehepaares mit zwei Kindern, nennen wir sie Anita und Peter Kirsch. Der Ehegatte verdiente 2014 als 40-Jähriger 120 000 Franken, in etwa der Durchschnittslohn eines Bundesbeamten. Die Frau, 39-jährig, steuerte 80 000 Franken zum Haushaltseinkommen bei. Im Laufe ihres Berufslebens können sie im Minimum mit einer moderaten Lohnerhöhung im Rahmen der Inflation von durchschnittlich zwei Prozent ausgehen. Ihr Pensionskassenguthaben wird ebenfalls mit zwei Prozent verzinst.

Im Laufe der Jahre baut sich bei den Kirschs folgendes Vermögen auf: Bereits im Jahr 2014 haben sie ausserhalb des Vorsorgevermögens 330 000 Franken angespart, sie nehmen eine Hypothek über 600 000 Franken zum Zins von vier Prozent auf und finanzieren damit eine Eigentumswohnung für 800 000 Franken. Das Ehepaar geht haushälterisch mit seinem Geld um, zahlt den aktuellen Maximalbetrag von knapp 6800 Franken in die Säule 3a ein und legt zusätzlich jedes Jahr zwölf Prozent des Bruttoeinkommens auf die hohe Kante. Die Lebenshaltungskosten – ohne Liegenschaften, 3. Säule, Steuern – betragen rund 83 000 Franken im Jahr. Mit 50 Jahren erbt Anita Kirsch von ihrem Vater eine halbe Million Franken. Geld, welches sie teilweise in eine Ferienwohnung investiert. Diese kostet ebenfalls eine halbe Million, 300 000 Franken werden über eine Hypothek abgedeckt. Das Ehepaar ist recht gut gebettet: Das freie Vermögen bringt zwei Prozent Zinsen und Dividenden, die steuerbar sind, und einen einprozentigen steuerfreien Wertzuwachs pro Jahr; der Wert der Liegenschaften wächst um vier Prozent pro Jahr.

Im Jahre 2039 werden Anita und Peter Kirsch pensioniert. «Unter den oben geschilderten Annahmen und nach Bezug des Kapitals aus der 3. Säule würde ein Vermögen von 3,7 Millionen Franken vorhanden sein», sagt Steuerexperte Uebelhart. Sie liegen damit weit über dem von den Initianten festgelegten Freibetrag von zwei Millionen Franken, der bei einer jährlichen Teuerung von zwei Prozent bis ins Jahr 2039 auf 3,3 Millionen ansteigen würde. Sollte Peter Kirsch kurz nach der Pensionierung sterben und sein ganzes Vermögen Anita vererben und diese kurz darauf ebenfalls sterben, ist das Fazit eindeutig: «Das Vermögen würde in diesem Modellfall den Freibetrag klar übersteigen», urteilt Steuerexperte Uebelhart, «somit wären die Kirschs von der Nachlasssteuer betroffen.»

Der Schutz des Partners wird zum Bumerang

Es ist ein ganz alltäglicher Erbfall: Der Mann, nennen wir ihn Hans Müller, stirbt und hinterlässt eine Ehefrau und zwei Kinder sowie ein Gesamtvermögen von vier Millionen Franken. Er vererbt je zwei Millionen an die Ehegattin und die Kinder. Kurz darauf verstirbt auch diese, und auch ihre zwei Millionen gehen an die Kinder. Was heisst das nun für die Erbschaftssteuer? «Dieser Fall ist von den Initianten nicht klar geregelt», sagt KPMG-Steuerexperte Peter Uebelhart, «und das macht die Sache kompliziert.» Je nachdem, wie der Initiativtext ausgelegt werden wird, können Nachlasssteuern von null, 200 000 oder gar 400 000 Franken anfallen.

Haben die Müllers jedoch einen Erbvertrag abgeschlossen, wonach der gesamte Nachlass dem überlebenden Ehegatten zukommt, wird der Schutz seiner Frau zum Bumerang. Geht nämlich der gesamte Nachlass über vier Millionen Franken zunächst an die Ehegattin, wäre dieser zunächst steuerbefreit. Beim zweiten Erbgang jedoch, wenn das Vermögen nach dem Tod der Mutter an die Kinder übergeht, schlägt die Erbschaftssteuer mit voller Wucht zu. Bei einem Freibetrag von zwei Millionen müssten die Kinder 400 000 Franken Erbschaftssteuer berappen.

«Diese Regelung kann dazu verleiten, das Vermögen direkt den Kindern zu vermachen und den überlebenden Partner aussen vor zu lassen», sagt KPMG-Experte Uebelhart. «Und dies nur, um Steuern zu sparen.»

Heute ist eher die Nutzniessung des Ehepartners die Regel. In Zukunft könnte dies auch Tür und Tor für Familienzwistigkeiten öffnen. Dann nämlich, wenn die Nachkommen Argumente suchen, um möglichst schnell an das Vermögen der Eltern zu kommen. Ob dies im Sinne der Initianten ist?

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