Unsere Bundesräte dossierfest, teamfähig, zuverlässig
Aber unsere Herzen erreichen sie nicht

Der Bundesrat ist so beliebt wie nie und doch geniesst er wenig Vertrauen. Es liegt nicht nur am Technokraten-Deutsch.
Publiziert: 25.11.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2018 um 16:24 Uhr
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Der diskrete Gernegross: Innenminister Alain Berset (SP) knobelte jahrelang an grossen Reformen und war weitgehend unsichtbar. Vielleicht kommt seine Stunde noch. Es wäre an der Zeit.
Foto: Illustration: Kravarik
Von Christoph Lenz

Eines muss man dem Bundesrat lassen. Er gibt sich Mühe. Keine Gelegenheit lässt er derzeit aus, dem Volk einzuschärfen: Ecopop ist untauglich, falsch, gefährlich.

Nur, die Botschaft kommt nicht an! Wie schon bei der Masseneinwanderungs-Initiative wächst auch bei Ecopop die Zustimmung, je näher die Abstimmung vom nächsten Sonntag rückt. Das Nein-Lager verliert derweil Rückhalt, wie die letzte SRG-Umfrage zeigte.

Sind nach den Wirtschaftsführern jetzt auch die Bundes­räte beim Volk untendurch? So einfach ist es nicht. Kaum ein Gesamtbundesrat erhielt in Umfragen je so gute Zensuren wie die aktuelle Equipe um Bundespräsident Didier Burkhalter (FDP). Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Vertrauen – alles da. Und trotzdem: Geht es ans Eingemachte, schlagen viele Leute die gut begründeten Mahnungen der Regierung in den Wind. Warum ist das so? Weil der Bundesrat das Volk nicht versteht. Und das Volk den Bundesrat nicht.

Fast im Wochentakt legen die Magistraten neue Konzepte, Massnahmenpläne und Regulierungen gegen die unerwünschten Folgen der Zuwanderung vor. «Alles gut und recht», sagt das Volk. «Aber was ist mit unserem Bauchgefühl? Mit der Überfremdung, der Zubetonierung?»

Kamillentee statt Kafi Schnaps

Auf diese Fragen findet der Bundesrat keine Antwort. Er zielt auf die Köpfe, wo er die Herzen gewinnen müsste. Er vertraut auf politische Millimeterarbeit, wo ein offenes, klares Wort gefragt wäre.

Schuld am Verständigungsproblem zwischen Bundesrat und Volk ist auch das Parlament. «Nie mehr!», schworen sich die Bundespolitiker nach der spannungsreichen Ära Blocher, Couchepin, Calmy-Rey. Statt Charakterköpfen und streitlustigen Überzeugungstätern vertrauten sie das Schicksal der Schweiz den Seriösen, Zuverlässigen, Teamfähigen an.

Jetzt haben wir eine Klasse von Musterschülern, die unsichtbar werden in ihrem Amt. Einen Kamillentee-Bundesrat: gesund, beruhigend, harmonisch, aber leider fad. Ohne Charisma, ohne Courage, ohne Leidenschaft. Aromatisiertes Warmwasser überall, aber nirgends ein Kafi Schnaps.

Ein Beispiel: Trotz grosser Anteilnahme in der Bevölkerung bewältigt die Sozial­demokratin Simonetta Sommaruga die Folgen des Syrienkonflikts primär mit dem Rechenschieber. Selbst SVP-Politiker mussten sie ermutigen, endlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

Es fehlt an Format

Wie anders war da Ruth Dreifuss! Als die Kosovo-Krise ihrem Höhepunkt entgegenstrebte, packte die damalige Bundespräsidentin kurzentschlossen 20 Flüchtlinge in ein Flugzeug und brachte sie in die Schweiz. Das polarisierte. Aber es war auch eine symbolträchtige Geste, die Dreifuss jenes rare Gut verschaffte, das den heutigen Bundesräten fehlt. Man nennt es Format. Respekt. Moralische Autorität.

Wie prekär dieses Defizit ist, zeigt sich in der Ecopop-Debatte. Sommaruga bezichtigt die Ecopop-Ingenieure, sie politisierten nur mit Zahlen und vergässen dabei, dass es um Menschen geht. Die Technokratin wirft den Technokraten Kaltherzigkeit vor. Das versteht kein Mensch.

Der Bundesrat hat mit dem Volks-Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative eine historische Niederlage erlitten. Womöglich kommt er bei Ecopop mit einem blauen Auge davon. Dennoch: Will das Parlament weitere Zitterpartien vermeiden, muss es bei der nächsten Vakanz einen anderen Typus Politiker in die Regierung schicken. Einen, der nicht nur mit dem Verstand politisiert, sondern auch mit dem Herzen.

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