Schon die erste CVP-Reaktion auf die Vorschläge des Bundesrats zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) war wenig euphorisch. Jetzt attackiert Parteichef Christophe Darbellay (43) die Vorschläge von Bundesrat Johann Schneider-Ammann (62, FDP) frontal.
Dieser hätte aufzeigen sollen, wie die Schweiz den Fachkräftemangel mit Einheimischen statt zugewanderten Spezialisten bekämpfen kann. Das einzig Neue: Arbeitslose sollen Stellenausschreibungen des Bundes via RAV mit fünf Tagen Vorsprung erhalten.
Zu SonntagsBlick sagt Darbellay: «Ich erwarte von Schneider-Ammann konkrete Massnahmen.» Vor allem für Leute über 50 Jahre und Frauen brauche es solche. Er sei vom Konzept enttäuscht. «Es ist zahnlos. Und Schneider-Ammann mutlos.»
Das Volk erwarte eine Reduktion der Einwanderung – und das müsse auch ohne Lösung mit der EU möglich sein. Auch BDP- Präsident Martin Landolt (46) sagt: «Wir sind sehr unzufrieden.» Schweizer Arbeitskräfte seien nur Begleitmassnahmen.
«Das ist zu wenig.» Wenn das Potenzial in der Schweiz besser genutzt würde, dann sänke die Zuwanderung automatisch, ist Landolt überzeugt. «Und die Bilateralen wären nicht gefährdet.» Der Bundesrat mache keine konkreten Vorschläge, er präsentiere nur gut gemeinte Ideen.
Schneider-Ammann ist in der Zwickmühle. Fast alle erfolgversprechenden Massnahmen gegen den Fachkräftemangel führen letztlich zu mehr Regulierung, mehr Bürokratie und mehr Staatsausgaben – in den Augen des Ex-Industriellen ist dies Gift für die Wirtschaft.
Deshalb steht der Berner departementsintern auf der Bremse. Um im Bundesrat dann doch dazu verknurrt zu werden, immer neue Massnahmenpakete zu schnüren.
Etwas anders präsentiert sich die Lage an der Aussenfront, wo Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (54) und Aussenminister Didier Burkhalter (54) sich gegenseitig unterstützen. Mit dem vorsichtigen Mittelweg bei der Umsetzung der MEI legt der Bundesrat derzeit sein ganzes Gewicht in die unsicheren «konsultativen Gespräche» mit der EU.
Das Wahljahr wird so auch zum Jahr des zurückhaltenden Duo diplomatique im Bundesrat. Sommaruga will Hand in Hand mit Burkhalter die neue EU-Spitze um Jean-Claude Juncker (60) von Verhandlungen zur Personenfreizügigkeit überzeugen. Die beiden verstünden sich «sehr gut», heisst es im Justizdepartement. Die Zusammenarbeit sei «tadellos», tönt es aus dem Aussendepartement.
Duo diplomatique steht geeint
Das ist nicht selbstverständlich, hat doch Sommarga mit dem schnellen Spitzentreffen einen direkten Draht zu Juncker aufgebaut, den Burkhalter zuvor mit dem damaligen EU-Boss José Manuel Barroso (58) nicht fand. Dieser war zwar immer nett, liess aber die Schweiz links liegen. Und mit dem neuen Staatssekretär Mario Gattiker (58) steht ein Sommaruga-Mann den EDA-Beamten vor der diplomatischen Sonne.
Doch Burkhalter hat laut mehreren Quellen damit kein Problem. Sommarugas Brüssel-Reise wird im Aussendepartement grundsätzlich als Erfolg gewertet. Auch das Telefongespräch von Sommaruga und Juncker letzten Dienstag sei ein gutes Zeichen, sagen EDA-Beamte. Selbst wenn sie anmerken, dass noch in den Sternen steht, wie nachhaltig diese «intensiven Konsultationen» sind. Ein Begriff, der laut Insidern nicht wie üblich vor dem Treffen vereinbart war, sondern auf den sich Sommaruga und Juncker im Vieraugengespräch geeinigt hätten.
Die Einigkeit des freisinnigen Romands und der Berner Sozialdemokratin war auch an der Pressekonferenz am Mittwoch sichtbar. So nickte Burkhalter öfters sichtbar, wenn Sommaruga etwas erklärte, und umgekehrt. Beide gleichen sich auch stilistisch: Sie sind immer nett, betonen die Sachpolitik, wollen bei niemandem anecken.
Die grosse Hoffnung des diplomatischen Duos ist, dass es mit der neuen EU-Spitze nun endlich vorwärtsgeht. Burkhalter hat zwar letztes Jahr als Bundespräsident im EU-Dossier nichts erreicht. Er habe sich dafür als OSZE-Präsident Ende Jahr wegen der Ukraine-Krise oft mit der neuen EU-Aussenbeauftragten Federica Mogherini (41) getroffen – und so schon einen guten Kontakt aufgebaut, heisst es in Bern.
Ob die sanfte Tour des zurückhaltenden Duos Erfolg hat, ist höchst unsicher. Doch bestechende Alternativen liegen weder von Parteien noch von Verbänden auf dem Tisch.
Und einen auf Varoufakis machen – die EU mit harten Positionen provozieren, wie dies der neue griechische Finanzminister derzeit ausprobiert – kann die Schweiz auch in einem Jahr noch. Indem der Bundesrat trotz Personenfreizügigkeit dem Parlament einfach einseitig Kontingente für EU-Zuwanderer vorlegt. Dann müsste dieses über ein Kräftemessen mit der EU entscheiden. Oder es gibt eine weitere Abstimmung. Worauf dann das Volk erneut entscheiden muss – diesmal Bilaterale oder MEI.