Überforderte Beamte
Immer mehr Kinderehen in der Schweiz

In der Schweiz leben Hunderte, die bereits als Kind verheiratet worden sind. Die Behörden sind regelmässig überfordert. Die Betroffenen bleiben sich selbst überlassen.
Publiziert: 07.11.2019 um 10:52 Uhr
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Aktualisiert: 07.11.2019 um 16:23 Uhr
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Woche für Woche melden sich bis zu elf Betroffene bei der Fachstelle Zwangsheirat, dem Kompetenzzentrum des Bundes.
Foto: GETTY

Die Zahlen sind erschreckend. Woche für Woche melden sich bis zu elf Betroffene bei der Fachstelle Zwangsheirat, dem Kompetenzzentrum des Bundes – jeder Dritte ist minderjährig. So viele wie noch nie. 2018 betreute die Fachstelle insgesamt 119 Fälle von Minderjährigenheiraten. Die meisten Betroffenen kommen aus dem Irak, aus Syrien, der Türkei, aus Afghanistan oder Somalia.

«Der Hauptgrund dafür ist der Kult um die Jungfräulichkeit der Frau», wird Anu Sivaganesan (32), Präsidentin der Fachstelle, von «20 Minuten» zitiert. Viele Familien würden fürchten, dass ihre Tochter in der Schweiz schon vor der Ehe Sex haben könnte: «Um die Familienehre zu wahren, wird die Tochter dann im Ausland als Minderjährige verheiratet oder verlobt.»

Behörden kommen oft nicht nach

Kinderehen sind hierzulande verboten. Das Schweizer Gesetz ist hier eindeutig. Nur: Vielen Betroffenen nützt das wenig. Denn die Behörden kommen mit den Fällen oft gar nicht erst nach. So wird die Ehe immer wieder automatisch rechtskräftig, wenn die betroffene Personen 18 Jahre alt und damit volljährig wird. Ein Phänomen, das weltweit bekannt ist.

Das Problem Kinderehen ist auch im Bundesparlament erkannt. «Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass es sich bei Verheiratungen von unter 16-Jährigen um eine Zwangsheirat handelt», findet die SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer (60, ZH) bei «20 Minuten». Die Fachstelle Zwangsheirat sieht das genauso. Sie schlägt deshalb vor, dass Eheschliessungen, die vor dem 18. Lebensjahr im Ausland geschlossen worden sind, in der Schweiz nicht anerkannt werden sollen.

Bund soll Bemühungen verstärken

Der Basler FDP-Nationalrat Christoph Eymann (68) forderte in einer Motion eine schweizweit einheitlichere Praxis unter den Kantonen, um Kinderehen und Zwangsverheiratungen stärker zu bekämpfen. Der Bund soll das Thema in den zuständigen Konferenzen der kantonalen Fachdirektoren verankern, um Lösungen besser zu koordinieren.

Die grüne Nationalrätin Sibel Arslan (39, BS) hat den Bundesrat zudem beauftragt zu prüfen, ob das Zwangsehenverbot von 2013 auch tatsächlich etwas nützt. Im Fokus soll dabei die Situation der im Ausland geschlossenen Minderjährigenheiraten stehen. Aslan gegenüber «20 Minuten»: «Unsere heutige Handhabung bei Zwangsehen ist nicht haltbar. Es müssen neue Massnahmen getroffen werden, die wirklich greifen.»

Der Bericht des Bundesrats soll spätestens im Januar veröffentlicht werden. (ama)

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