Am Gotthard ging gar nichts mehr. Bis zu 15 Kilometern staute sich gestern die Blechlawine. Stundenlang ärgerten sich Automobilisten in der Hitze vor dem Nadelöhr.
Bald steht die Sanierung des 1980 eröffneten Strassentunnels an. Wie ist dann die Verbindung mit dem Tessin und Italien gewährleistet?
Bundesrat und Parlament wollen für 2,8 Milliarden Franken eine zweite Röhre bauen. Ist diese fertig, wird die alte Röhre geschlossen und saniert. Danach soll es pro Tunnel nur eine Spur geben: eine nach Süden, eine nach Norden. So würde der Gotthard auch massiv sicherer.
Über fünfzig Verbände und Parteien (SP, Grüne und GLP) haben gegen diesen Plan das Referendum ergriffen. Wohl schon im Februar entscheidet das Volk.
Sieben Monate vor dem Urnengang liegen die Befürworter klar vorn. Das zeigt eine exklusive Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Opinionplus im Auftrag von SonntagsBlick.
70,8 Prozent sagen Ja zum Projekt. 21,5 Prozent wollen ein Nein einlegen. Nur 7,7 Prozent sind unentschlossen. Interessant: Würde morgen abgestimmt, wären sogar die Linken dafür. 51 Prozent der SP-Wähler geben an, «sicher Ja» oder «wahrscheinlich Ja» zu stimmen.
Meinungsforscher Matthias Kappeler (43), der die Erhebung durchführte, rät dem Ja-Lager aber zur Vorsicht: «Jetzt ist Hauptreisezeit, täglich hören und lesen wir von Staus am Gotthard. Das hat sicher einen Einfluss auf das klare Resultat.»
CVP-Fraktionschef Filippo Lombardi (59) kämpft an vorderster Front für ein Ja. Auch er warnt vor verfrühter Euphorie: «Bekanntlich nehmen in den meisten Fällen die Nein-Stimmen zu, wenn der Abstimmungstag näherrückt.» Die Gegner würden zudem ihre emotionalen Argumente einbringen.
Kapazitätsausbau: Ja oder Nein?
Das klare Resultat der Umfrage überrascht Lombardi aber: «Ich bin meinen Mitbürgern nördlich der Alpen sehr dankbar, dass sie sich so deutlich gegen eine dreijährige Isolierung des Tessins aussprechen!»
Drei Jahre: Das ist die Zeit, die gebraucht wird, um den alten Stollen wieder auf Vordermann zu bringen. Ohne neuen Tunnel müsste der Verkehr während dieser Zeit ausweichen – oder über den Gotthardpass schleichen.
Am heftigsten umstritten ist die Frage, ob der zweite Tunnel einen Kapazitätsausbau bedeutet oder nicht. Die Gegner wollen im Abstimmungskampf voll auf diese Karte setzen. Sie glauben nicht an eine Spur pro Tunnel. Seien beide Tunnel fertig, werde der Verkehr vierspurig rollen.
Die Befürworter kontern, das sei gar nicht möglich. Der Alpenschutz-Artikel in der Verfassung verhindere, dass die Tunnels vierspurig genutzt werden. Die Gegner wiederum meinen, der Druck der EU werde so gewaltig, dass die Schweiz früher oder später die Röhren für vier Spuren öffnen müsse.
Am Ende könnte EU-Gericht bestimmen
Vielleicht entscheidet darüber gar die ausländische Justiz. Aussenminister Didier Burkhalter (55, FDP) möchte, dass Differenzen zwischen der Union und der Schweiz künftig vom EU-Gerichtshof beurteilt werden. Dann könnte die Klage eines Fuhrhalters aus Estland über die Durchfahrt am Gotthard entscheiden.
Gelingt es den Gegnern, die Angst vor einem Kapazitätsausbau steigen zu lassen, «könnte die Zustimmung schnell sinken», sagt Meinungsforscher Kappeler.
Die andere Knacknuss ist das Geld. Wird am richtigen Ort investiert?
Mit dem Stadtbasler Nationalratskandidaten Christian Egeler macht erstmals ein Deutschschweizer FDP-Politiker im bürgerlichen Nein-Komitee mit. «Das Geld für den Gotthard-Strassentunnel sollte besser in den Agglomerationen verwendet werden», sagt er. Hier stünden die Automobilisten ständig im Stau, hier müsse der Bund endlich Engpässe beseitigen.
Gemeint sind damit beispielsweise das Nadelöhr auf der Osttangente in Basel, die Nordumfahrung der Stadt Zürich oder die Umfahrung von Morges VD. Aber auch Egeler kennt das Gotthard-Problem. Er weilt zurzeit in der Toscana. «Um den Stau zu umfahren, wählten wir die Simplon-Route nach Italien», sagt er.
Sicher ist: Wie immer, wenn es um den Schicksalsberg der Schweizer Verkehrspolitik geht, schlagen die Wogen hoch. Nicht nur für die Autofahrer, die gestern stundenlang im Stau sassen.