Türkischer Botschafter zum Jahrestag des Putschversuchs
«Von der Todesstrafe redet niemand mehr»

Am Samstag jährt sich der gescheiterte Putschversuch in der Türkei. Der neue Botschafter des Landes sprach in Bern über die «traumatische Nacht des 15. Juli» und deren Folgen.
Publiziert: 14.07.2017 um 17:13 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 12:51 Uhr
Sermîn Faki

Es sind verstörende Bilder: Leichen auf den Strassen, Explosionen, Panzer, die Menschen überrollen. Der Film zeigt, was in der Nacht vom 15. Juli 2016 in der türkischen Hauptstadt Ankara und der Metropole Istanbul passierte, als Teile der Armee versuchten, das Regime von Präsident Recep Tayyib Erdogan zu stürzen. Über 200 Menschen starben, mehr als 2000 wurden verletzt. «Was würdest du tun, wenn das in deinem Land passieren würde?», fragt der Film in grossen Lettern. «Würdest du dich ergeben oder kämpfen?»

Den Propaganda-Film präsentiert der neue türkische Botschafter in Bern. Ilhan Saygili ist seit letztem November im Amt, den Putschversuch hat er in Ankara miterlebt. Am Freitag lud er Journalisten anlässlich des ersten Jahrestags «des Siegs der Demokratie über den Terrorismus» zum Gespräch. Denn genau darum ginge es hier, sagt Saygili. «Wenn das kein Terror ist, was dann?» fragt er.

Noch 70'000 in Gefängnissen

Die Türkei sei noch immer daran, das Trauma zu überwinden. Sie tut das mit Massenverhaftungen, Denunziationen und Propaganda. In Ankara wird der Jahrestag am Samstag gross gefeiert, währenddessen nach Angaben Saygilis zwischen 60'000 und 70'000 Menschen, denen Beteiligung am Putschversuch oder Unterstützung des mutmasslichen Drahtziehers Fetullah Gülen vorgeworfen wird, in Gefängnissen sitzen.

Das Land wolle schnell zur Normalität zurückkehren, sagt Saygili, als er auf den immer noch andauernden Ausnahmezustand angesprochen wird. Doch das sei nicht so einfach, denn die «terroristische Organisation» des Predigers Gülen habe Staat, Armee, Wirtschaft, Bildungssystem und Medien infiltriert. Die Anhängerschaft ausfindig zu machen, sei schwer. «Die Türkei hat angemessene Mittel angewandt», sagt Saygili. «Wir würden nie die Demokratie und den Rechtsstaat aushebeln.»

Todesstrafe ist wohl vom Tisch

Und was ist mit der Todesstrafe, die immer noch im Raum steht? «Davon redet heute niemand mehr», sagt Saygili. Das sei eine erste Reaktion auf die vielen Toten gewesen und Erdogan habe nur gesagt, dass er dem Parlament nicht im Weg stehen werde, wenn dieses die Wiedereinführung der Todesstrafe beschliessen sollte. «Doch bis heute gab es keinen entsprechenden Antrag.»

Kürzlich sei auch eine Untersuchungskommission ins Leben gerufen worden, die jenen Lehrern, Soldaten, Richtern, Professoren zu ihrem Recht verhelfen will, die sich zu Unrecht entlassen fühlen.

«Wir fühlten uns alleingelassen»

«Davon spricht niemand mehr»: Ilhan Saygili, Botschafter der türkischen Republik in Bern zur Todesstrafe.
Foto: Keystone

Im Westen werde all das nicht wahrgenommen. «Wir fühlten uns von der Welt alleingelassen», sagt Saygili. Kein einziger Aussenminister der Nato-Verbündeten habe die Türkei besucht. Das habe auch die Bevölkerung enttäuscht, die sich heldenhaft gegen die Putschisten gestellt habe. «Sie spürte keine Solidarität, obwohl diese so nötig gewesen wäre.»

Die Schweiz aber sei hier eine Ausnahme. Auch wenn die bilateralen Beziehungen in den letzten Monaten nicht immer einfach gewesen seien und es auch Kritik aus Bern gegeben habe: Dass der Bundesrat den Putschversuch so klar verurteilt habe, sei in Ankara dankbar zur Kenntnis genommen worden. «Wir werden das nie vergessen. Nie», sagt Saygili. 

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