Trotz Fundamentalismus-Problem
CVP zieht ihrem Anti-Islam-Papier die Zähne

Die CVP will nichts mehr von harten, anti-islamistischen Positionen wissen. Sie hat ihrem «Muslimpapier» die Zähne gezogen und bekämpft jetzt den Fundamentalismus. Etwa mit Integrationsvereinbarungen, die den Rechtsstaat über die Religionsfreiheit setzen.
Publiziert: 12.12.2018 um 09:27 Uhr
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Aktualisiert: 29.12.2020 um 11:59 Uhr
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CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister will fundamentalistische Strömungen bekämpfen. Ein ursprüngliches Anti-Islam-Papier wurde daher zu einem Fundamentalismuspapier.
Foto: KEYSTONE
Andrea Willimann, Bern

Drei Jahre hat die CVP daran herumgemurkst, aber ausgerechnet am Morgen nach dem Terroranschlag in Strassburg F stellt die Partei heute ihr Positionspapier «Rechtsstaat und Fundamentalismus» vor.

Was Parteichef Gerhard Pfister (56) einst als Wertediskussion angestossen hatte, führte in der CVP fast zur Zerreissprobe. Bei einer ersten internen Präsentation des Papiers vor den Delegierten letzten Januar stellten sich Romands, vorab die Genfer, völlig quer. Die teils stark anti-islamistischen Positionen kamen deshalb unter Verschluss.

Eine welsche sowie eine Deutschschweizer Arbeitsgruppe kehrten die Scherben zusammen und überarbeiteten das Papier. Das Resultat: ein «Fundamentalismuspapier» statt eines «Muslimpapier». Weshalb erklärt CVP-Präsident Pfister im Gespräch mit BLICK.

BLICK: Herr Pfister, die CVP hat ihr Anti-Islam-Papier zu einem Fundamentalismus-Papier verwässert. Warum?
Weil in der Diskussion mit der Parteibasis zurecht eingewandt wurde, dass auch beim Islam nicht die Religion an sich das Problem an sich ist, sondern der Fundamentalismus, der daraus wachsen kann.

Dann nehmen Sie jetzt gleichwertig auch fundamentalistische Christen und ultraorthodoxe Juden ins Visier?
Wenn sich solche Gruppierungen gegen den Rechtsstaat wenden, sind auch sie ein Problem.

Für fünf Seiten Papier brauchte die CVP fast drei Jahre, ungewöhnlich lange für eine Partei. Es gab Widerstand von Parteidelegierten. Ist Ihre Wertediskussion ein Spaltpilz für CVP?
Im Gegenteil. Die erste Version wurde mit klarer Mehrheit gutgeheissen. Aber es war mir wichtig, dass die Minderheitspositionen auch integriert wurden. Ich verhehle nicht, dass diese Diskussion eine anspruchsvolle war, gerade auch für die CVP. Ich habe sie angestossen, weil meiner Meinung nach die Frage «Wie verteidigt sich der Rechtstaat, wie verteidigt die Schweiz ihre Werte?» immer wichtiger wird. Diese Antworten findet man nicht so schnell, das braucht Zeit.

War wirklich nur die Zeit das Problem?
Es gibt zu diesem Thema ein unterschiedliches Problembewusstsein innerhalb der verschiedenen städtischen und ländlichen Regionen der Schweiz und damit auch innerhalb der CVP. Deshalb wollten wir nichts übers Knie brechen. Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Das Ergebnis sind Positionen zu den Grundwerten und zum Zusammenleben in der Schweiz, hinter denen die meisten in der Partei stehen können.

War es ein Fehler, dass Sie die Parteibasis am Anfang rechts überholen wollten?
Nein.

Sicher?
Ich hatte ganz bewusst die Debatte provokativ lanciert und die Forderungen kantig formuliert, damit sie etwas auslösen. Aber nachher, als der parteiinterne Diskussionsprozess lief, hielt ich mich sehr zurück. Wir hatten genügend Leute, die sich einbringen wollten. Jetzt bin ich stolz, dass die CVP intern so eine anspruchsvolle Diskussion führen konnte.

Färben Sie nicht schön? Das Papier hat im Vergleich zum ersten Entwurf jeden Zahn verloren: Generelles Kopftuchverbot an Schulen, Burkabefreiung, keine Sozialhilfe für Dschihad-Kämpfer – alles draussen.
Das Kinderkopftuch-Verbot ist noch drin! Ebenso die Forderung, in der Schweiz sollen die Menschen im öffentlichen Raum ihr Gesicht zeigen.

Aber gesetzlich doch nur auf kantonaler Ebene?
Ja, das meinte ich vorhin: In den einzelnen Kantonalparteien sind die Ansichten unterschiedlich. Schauen Sie sich doch in Genf um! Was wollen sie dort mit einem Kopftuchverbot? Dass sich die Genfer CVP wehrte, verstehe ich. Andererseits findet eine Mehrheit der CVP, ein Kinderkopftuch sei an den Schulen nicht zulässig. Sie kämpft gegen Kleidervorschriften mit diskriminierendem Charakter.

Die CVP spricht vom «Gebot des Gesichtszeigens» – klingt nicht wirklich nach grossem Durchsetzungswillen?
Wir sind uns einig sind, ist, dass wir den Rechtsstaat gegen den Fundamentalismus verteidigen wollen. Religionsfreiheit ja, aber innerhalb der geltenden Schweizer Gesetze. Die CVP ist gegen Kleidervorschriften, die Zwang und Unterdrückung signalisieren. Religiöses Recht hat sich unterzuordnen. Das bedeutet unter anderem, dass wir das muslimische Schariarecht ablehnen.

Und weshalb werden die muslimische Gotteskämpfer, Dschihadisten, plötzlich mit Samthandschuhen angefasst? Ursprünglich wollten Sie ihnen doch die Sozialhilfe streichen?
Weil es dazu bereits politische Vorstösse gibt und weil die Frage mehr in der Migrationspolitik anzusiedeln ist. Die CVP fordert dort ein konsequentes Vorgehen gegen Dschihadisten.

Flog es nicht raus, weil es eine anti-islamistische Massnahme war?
Das will ich jetzt nicht einmal abstreiten. Unser Positionspapier ist jetzt sicher viel allgemeiner gehalten, weil es eben nicht nur um den islamistischen Fundamentalismus gehen soll.

Hat die CVP auch konkrete eigene Vorschläge, mit denen sie gegen fundamentalistische Strömungen vorgehen will?
Wir wollen bei den Integrationsvereinbarungen mit Immigranten entschieden durchsetzen, dass unsere gesellschaftlichen Werte und die Gleichheitsrechte verbindlich eingehalten werden. Parallelrechte akzeptieren wir nicht. Dann geben wir ein klares Bekenntnis gegen Zwangsheiraten, gegen Kinderehen ab – egal, ob sie im Ausland geschlossen wurden und erlaubt sind.

Die Verteidigung christlicher Werte ist kein Thema mehr?
Wir müssen uns bewusst werden, welche Normen von allen für ein friedliches Zusammenleben geteilt werden sollen und welche wir durchsetzen wollen. Diese Werte beruhen auf unserem kulturellen, gesellschaftlichen, christlichen Erbe und kann man nicht einfach in Gesetze giessen. Man muss dafür Transparenz schaffen und über Fehlentwicklungen und Probleme öffentlich reden wollen.

Nochmals: Was ist mit den christlichen Werten?
Das «C» ist wichtig. Aber wir sind eine christlich-demokratische Volkspartei. Wir haben als Partei die Aufgabe, den Rechtsstaat und unsere Werte zu verteidigen und nicht Glaubensüberzeugungen. Glauben ist eine Privatsache. Das ‚C’ in unserem Parteinamen bedeutet nicht ein bestimmtes Glaubensbekenntnis, sondern eine bestimmte Wertprägung.

Und die fehlt liebestollen CVP-Politikern oder Spesenrittern, die mit den zehn Geboten kollidieren?
Wir müssen damit rechnen, dass die Öffentlichkeit an uns höhere Erwartungen und Massstäbe setzt als an andere. Wir sind keine besseren Menschen, aber gewisse Sachen darf man als CVP-Vertreter nicht machen. Dazu gehört zum Beispiel, dass man in der Politik nicht Hass verbreitet, nicht rassistisch ist und auch nicht rechts- oder linksextrem. Das funktioniert eigentlich gut. Und wenn im Privaten Fehler geschehen, ziehen die Betroffenen die Konsequenzen. So wird Nationalrat Guillaume Barazzone in Bern und als Stadtrat in Genf seine Ämter niederlegen. Die Freisinnigen tun sich da weit schwerer, wie der Fall des Genfer Staatsrates Pierre Maudet zeigt.

Vergibt auch das Volk der CVP? Werden es bei den nationalen Wahlen 2019 noch mehr als 10 Prozent Wähler sein?
Es gibt davon weit mehr! Aber die CVP-Wähler wählen uns nur, wenn die Partei ihre Parteiarbeit professionalisiert und die Ortsparteien mobilisieren.

Sie schieben also die Verantwortung an die Ortsparteien ab?
Nein! Ich übernehme die Verantwortung dafür, dass wir der CVP mehr Ecken und Kanten geben und profilierter aus der Mitte heraus politisieren. Ich unterstütze die Orts- und Kantonalparteien mit allen meinen Kräften. Die Resultate in bei den letzten vier kantonalen Wahlen machen mir Mut. Aber der Wahlherbst 2019 wird entscheidend sein.

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