Trickserei mit Smartvote
Parteien verkaufen die Wähler für dumm

Vor den Wahlen im Herbst informieren sich viele Bürger auf Smartvote. Jetzt wird klar: Die Parteien nehmen Einfluss auf die Profile ihrer Politiker.
Publiziert: 20.07.2019 um 23:29 Uhr
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Aktualisiert: 21.07.2019 um 08:19 Uhr
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Wahlkampf 2019 – bald beginnt die heisse Phase.
Foto: Keystone
Simon Marti

Wahlkampf 2019 – bald beginnt die heisse Phase. Bevor die Schweiz am 20. Oktober ein neues Parlament bestimmt, lassen die Parteien nichts unversucht, um Anhänger zu mobilisieren und Unentschlossene zu überzeugen. Bei der Entscheidungsfindung greifen viele Bürger auf ein praktisches Hilfsmittel zurück: Die Webseite von Smartvote. Anhand eines Katalogs von 75 Fragen zu Themen wie Bildung, Gesundheitswesen, Migration, Aussen- oder Sicherheitspolitik liefert sie präzise Politiker-Profile.

Die Grafiken geben den Wählern Aufschluss darüber, welcher Kandidat ihnen politisch am nächsten steht. Bei den Wahlen vor vier Jahren wurde Smartvote rege genutzt. Etwa 3300 Kandidaten legten ihre Profile offen, rund 1,3 Millionen Wahlempfehlungen wurden abgerufen. Die sogenannten Smartspiders zur Veranschaulichung der Positionen von Politikern, Parteien und Fraktionen sind aus der Berichterstattung kaum mehr wegzudenken.

Mit Leitfaden zur Beantwortung

Doch dass die Spinnweb-Grafiken die Absichten amtierender oder künftiger Parlamentarier 1:1 spiegeln, ist ein Trugschluss: Viele Parteien versuchen, ihre Kandidaten durch vorgefertigte Antworten auf Linie zu bringen. Oft geben sie – auf Basis ihrer Programme und Delegiertenentscheide – sogar detaillierte Leitfäden heraus, damit die Parteipositionen bei der Beantwortung der 75 Fragen berücksichtigt werden.

Zum Beispiel der Freisinn: «Die FDP fasst zu den verschiedenen Fragen die Position der Partei zusammen», sagt Generalsekretär Sa muel Lanz (36). «Dies ist als Hilfestellung gedacht, wir schreiben niemandem vor, was er ankreuzen soll.»

Auf Anfrage von SonntagsBlick legt die Partei ihren Leitfaden offen. Zum Beispiel in der Europapolitik: Auf die Frage «Soll die Schweiz Verhandlungen über den Beitritt zur EU aufnehmen?» schlägt sie die trockene Antwort vor: «Die FDP lehnt einen EU-Beitritt ab.» Der Freisinn verzichtet allerdings darauf, die Antwortvorschläge zu gewichten. Das heisst, er fordert die Kandidaten nicht auf, Fragen mit «Ja», »Eher Ja», «Eher Nein» oder «Nein» zu beantworten.


Andere nehmen es da genauer: Die SP liefert ihren Genossen ein Schema, nach dem die Fragen en détail zu beantworten sind. Michael Sorg (38), Co-Generalsekretär: «Ich betone: Das ist in keinem Fall bindend für die Kandidaten, sondern eine Hilfestellung.» Publizieren will die SP ihre Hinweise aber nicht: «Die Erläuterungen sind nur ein Hilfsmittel für die Kandidaten, welches wir nicht veröffentlichen.»

Noch zugeknöpfter gibt sich die CVP: Die Vorschläge zum Ausfüllen des Fragenkatalogs seien lediglich für die Kandidierenden bestimmt; sie dienten als Hilfestellungen, so das Generalsekretariat lapidar.

Die Grünen und die GLP ziehen mit breiter Brust in den Wahlherbst. In Zeiten von Klimaprotesten und Hitzesommer können beide auf substanzielle Zugewinne hoffen und stellen ihren Kandidaten detaillierte Antwortvorschläge zur Verfügung. «Selbstverständlich sind alle Kandidierenden frei im Beantworten der Fragen», so die Grünen in ihren Erläuterungen. Wer froh über eine Orientierungshilfe sei, «darf aber gerne auf unsere Zusammenstellung zurückgreifen». So ist ein klares Nein zum Freihandelsabkommen mit den USA und zur Beschaffung neuer Kampfjets vorgesehen. Zur Impfpflicht für Kinder oder der Widerspruchslösung bei der Organspende jedoch geben die Grünen keine Empfehlungen.

Die BDP operiert da hemdsärmliger: «Kandidaten, die das erste Mal antreten, habe ich geraten, die Fragen erst einmal als Wähler zu beantworten», sagt Generalsekretärin Astrid Bärtschi (45). So könnten sie vorab sehen, wie ihr Profil ausfällt. Und es, wenn sie als Kandidat antworten, korrigieren.
Die BDP gehört zu den wenigen Parteien, welche die Problematik solcher Kandidaten-Briefings einräumt: «Klar, das ist nicht ideal», so Bärtschi. «Aber letztlich bleibt es in der Verantwortung jedes Einzelnen, wie er oder sie antwortet.»

Smartvote möchte Unabhängigkeit

Tatsächlich entfalten die Vorgaben durchaus Wirkung. Das wissen auch die Smartvote-Betreiber: «Wir haben schon festgestellt, dass einige Parteien ihren Kandidierenden Ratschläge erteilen», sagt Corina Schena, Politologin bei Smartvote.

Die Plattform macht den Parteien diesbezüglich keine Vorschriften. «Aus unserer Sicht wäre es aber wünschenswert, wenn die Kandidaten die Fragen ohne die Vorschläge der Parteien beantworten.» Es gehe um eine individuelle Wahlempfehlung, «da sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Politikern wichtig». Bei der Umfrage von 2015 habe man sehen können, dass die SP und die Grünen sehr geschlossen antworteten.

«Bei der SVP hingegen erkennt man eine klare Linie bei Kernthemen wie der Migration. Bei anderen Fragen fielen die Antworten sehr divers aus.» Just die Partei, die die Frak tionsdisziplin im Parlament unzimperlich durchsetzt, verzichtet auf vorgefertigte Antworten? «Die SVP schickt ihren Kandidaten keinen Leitfaden. Sie sollen sich Zeit lassen und die Fragen sorgfältig studieren», sagt Generalsekretär Emanuel Waeber (61).

Manche hätten Respekt davor, dass ihr Ergebnis zu links oder zu rechts ausfalle, sagt Waeber. «Aber das macht nichts. Schlimmer ist die Gleichmacherei der Kandidaten.»

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