Karl Moser wollte nicht streiten. Aber nach dem Tod seiner Mutter gab es zuerst einmal Paragrafenreiterei statt Trauerarbeit. «Mehr als elf Monate musste ich kämpfen, um zu erfahren, wieso meine Mutter gestorben ist. Sie starb eines natürlichen Todes. Aber ich bekam einfach keine Antwort darauf, wieso sich ihr Gesundheitszustand so schnell verschlechtert hatte.» Die Frau lebte zuletzt in einem Alters- und Pflegeheim. Vor ihrem Tod begleitete Moser sie jahrelang zu Arztterminen, bekam zu ihren Lebzeiten auch im Heim immer völlig selbstverständlich alle medizinischen Informationen.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Nachdem die Mutter gestorben war, änderte sich das schlagartig. Das Pflegeheim berief sich aufs Datenschutzgesetz. Das Berufsgeheimnis verbiete es, die Akten weiterzugeben. «Ich wurde plötzlich behandelt wie ein Fremder. Es war verletzend», sagt Karl Moser, der eigentlich anders heisst, zum Beobachter. Er will anonym bleiben, weil es ihm nicht darum geht, jemanden zu beschuldigen. Es geht ihm ums Prinzip. Er will, dass andere nicht in die gleiche Lage kommen.
Kein Recht auf Einsicht
Das Gesetz ist klar. Eine Ärztin macht sich strafbar, wenn sie sich nicht ans Arztgeheimnis hält. Und dieses gilt über den Tod des Patienten hinaus. Angehörige haben kein Recht auf Einsicht in die Patientenakten der Verstorbenen. Was Karl Moser passiert ist, kann also theoretisch allen geschehen, deren Mütter, Väter, Partnerinnen und Partner oder Kinder sterben.
Unter bestimmten Umständen kann man beim kantonalen Gesundheitsamt um eine Entbindung vom Arztgeheimnis für einzelne Daten ersuchen. Zum Beispiel dann, wenn es um vermutete Behandlungsfehler geht, um genetische Abklärungen oder um Trauerarbeit. Dieses überwiegende Interesse muss man aber gut begründen können. Die grundsätzliche Geheimhaltung soll gewährleisten, dass Patienten mit ihrem Arzt frei über heikle Themen sprechen können, die sie auch nach ihrem Tod nicht preisgeben wollen.
In den letzten Monaten habe sich diese Geheimhaltungspraxis auffallend verschärft, sagt Bettina Umhang zum Beobachter. Sie ist Anwältin aus Zürich und Expertin für Patientenrechte.
Den Grund sieht sie im neuen Datenschutzgesetz, das seit September 2023 gilt. «Schon in der Zeit, bevor es in Kraft trat, war spürbar, dass die Behörden mehr wissen wollten, ehe sie eine Entbindung vom Arztgeheimnis bewilligten», sagt sie. «Der Datenschutz wird deutlich höher gewichtet.»
Es sei ihr grundsätzlich wohl dabei, dass die zuständigen Stellen gut abwägen, welche Daten preisgegeben werden. Bettina Umhang kritisiert aber, dass die Auskunft über Patientendaten von Verstorbenen nirgends verbindlich geregelt ist.
Eigentlich hätte das anders sein können. In der ersten Version des bundesrätlichen Vorschlags zur Totalrevision des Datenschutzgesetzes war explizit ein Artikel 16 vorgesehen, um den Umgang mit Daten von Verstorbenen zu regeln. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, dass der Zugang zu gewähren sei, wenn jemand ein schutzwürdiges Interesse vorweisen könne. Oder eben direkt verwandt, verheiratet, in Partnerschaft lebend oder in faktischer Lebensgemeinschaft sei. Ausser, die Verstorbenen hätten es explizit untersagt oder hätten ein höheres Schutzbedürfnis. So ähnlich stand es vorher schon in der Verordnung des alten Datenschutzgesetzes. Aber diese war umstritten, weil sie vom Arztgeheimnis im Strafgesetz abwich.
Einsicht ist gar nicht mehr geregelt
Das Parlament schmiss den geplanten Artikel 16 aus dem Gesetz. Und die umstrittene alte Verordnung gilt nicht mehr. Die Einsicht in Daten von Verstorbenen ist also gar nirgends mehr geregelt. Für Anwältin Bettina Umhang ein Fehler: «Der Vorschlag des Bundesrats war gelungen. Denn er trug sowohl berechtigten Interessen der Angehörigen als auch des Verstorbenen Rechnung.» Man hätte auch dann jeden Einzelfall abwägen müssen. «Aber es wäre trotzdem eine entscheidende Erleichterung für Angehörige gewesen.» Weil der Ball für die Begründung dann nicht mehr bei ihnen gelegen hätte, sondern bei den Behörden und Ärzten. Im Parlament hat man das aber gar nicht diskutiert. GLP-Nationalrat Beat Flach kämpfte bei der Revision des Datenschutzgesetzes für den Beibehalt von Artikel 16, war jedoch chancenlos. Zum Beobachter sagt er: «Ich hatte damals bei den Debatten den Eindruck, dass kaum jemand Interesse hatte, die Frage wirklich zu klären.» Jetzt, da das Justizdepartement in neuer Hand ist, will er das Thema mit einem neuen Vorstoss wieder aufgreifen.
Das Bundesamt für Justiz sagt auf Anfrage, dass es momentan seitens der Verwaltung keine Bestrebungen gebe, das Datenschutzgesetz anzupassen. Die Revision sei abgeschlossen. Im Erbrecht werde das Parlament in einem weiteren Kontext die Frage des Informationszugangs nach dem Tod einer Person behandeln. Der Bundesrat erarbeitet momentan eine solche Vorlage und wird voraussichtlich 2025 eine Vernehmlassung dazu machen.
Karl Moser hat mit Hilfe seines Anwalts mittlerweile doch noch Antworten bekommen. Die Sache geht ihm aber auch heute noch nahe. «Wie kann man so mit den Angehörigen umgehen?» Es dürfe nicht sein, dass der juristische Weg nötig ist, um die genaueren Todesumstände einer Liebsten zu erfahren.
Das können Sie tun, wenn Sie anderen Einsicht in Ihre Daten geben wollen
Wenn Sie Ihren Angehörigen zu Lebzeiten oder nach Ihrem Tod Zugang zu medizinischen Informationen gewähren wollen, können Sie das schriftlich festhalten. Etwa in einer Patientenverfügung oder als Teil eines Vorsorgeauftrags.
Ein Beispiel für eine solche Formulierung ist: «Meine Angehörigen (namentlich: X., Y., Z.) sind nach meinem Tod über die Todesursache und die Begleitumstände zu informieren.»
Das Beobachter-Beratungszentrum rät zudem dazu, explizit zu notieren, dass der Zugang zu medizinischen Informationen über den Tod hinaus gilt. Eine solche Regelung muss man aktuell halten und zum Beispiel alle fünf Jahre aufdatieren. Oder auch bereits früher, falls sich der Gesundheitszustand ändert. Die Notiz sollte mit Ort und Datum und handschriftlicher Unterschrift versehen sein. Achtung: Je nachdem, ob die Notiz in einer Patientenverfügung oder einem Vorsorgeauftrag unterkommt, müssen weitere formale Vorgaben beachtet werden.