Das neue Jagdgesetz befindet sich in der Schlussrunde und wird noch in der Herbstsession verabschiedet. Eine breite Allianz aus Naturschutzverbänden und Tierschutzorganisationen wird das Referendum dagegen ergreifen. Mit von der Partie ist auch der Schweizer Tierschutz. Warum, erklärt dessen Präsident Heinz Lienhard (83) im BLICK-Interview.
BLICK: Herr Lienhard, am Referendum führt kein Weg mehr vorbei?
Heinz Lienhard: Nein, das Referendum ist beschlossene Sache.
Im Fokus der Diskussion steht der Wolf. Was ist so schlimm, wenn dieser in gewissen Fällen gejagt werden kann?
Die Hürde ist viel zu tief angesetzt. So kann ein Wolf gejagt werden, noch bevor er effektiv einen Schaden anrichtet – nur weil er theoretisch einen Schaden anrichten könnte. Damit wird er zum Abschuss frei gegeben, obwohl er geschützt ist. Sogar Jungwölfe, die nur ein paar Monate alt sind, werden nicht verschont.
Sie übertreiben. Von den Jungtieren geht doch keine Gefahr aus!
Natürlich sind sie keine Gefahr. Deshalb ist es ganz besonders verwerflich, dass man sie auch eliminieren will. Doch es geht um viel mehr als den Wolf.
Nämlich?
Wird der Wolf jetzt zum Abschuss freigegeben, ist das der Startschuss für eine Salamitaktik, den Schutz für weitere Tierarten zu lockern. Diese werden als Schädlinge abgestempelt und damit zu Freiwild erklärt. Der Steinbock ist bereits auf dieser Liste. Der Biber, der Luchs oder der Fischotter könnten bald folgen. Der Tierschutz wird zum Nutzen weniger ausgehebelt. Das ist inakzeptabel.
Erzählen Sie das mal einem Schafhalter, dessen Tiere vom Wolf zerfleischt worden sind.
Solche Verluste kommen in der Regel bei Haltern vor, die ihre Herden weder durch Schutzhunde noch durch Einzäunungen schützen. Das ist umso verwerflicher, als der Bund die Schutzaufwendungen ja bezahlt!
Dann sind die Halter selber schuld, wenn ein Wolf ihre Tiere erwischt?
Ja, in den meisten Fällen sind sie selber schuld. Es gibt keinen vernünftigen Grund, auf den Herdenschutz zu verzichten.
Trotzdem, haben Sie kein Mitleid mit den gerissenen Tieren?
Doch, die tun mir sogar sehr leid! Aber wenn die Schafhalter ihre Hausaufgaben machen und ihre Tiere schützen, müssen weder die Schafe leiden noch muss der Wolf ausgerottet werden.
Nicht nur Tierhalter, auch viele Jäger machen sich für eine Lockerung stark.
Dafür habe ich null Verständnis. Leider ist es so, dass viele Jäger einfach Spass am Töten haben. Nehmen Sie das Eichhörnchen als Beispiel: Es gehört zu den jagdbaren Tieren, obwohl es niemandem etwas zuleide tut. Ich frage mich, was ein Jäger empfindet, wenn er ein Eichhörnchen abknallt.
Sie stören sich einfach an der Jagd!
Nein, ich störe ich daran, wenn jemand zum Plausch tötet. Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Jagd, aber es muss einen nachvollziehbaren Grund dafür geben. Wir leben ja nicht mehr in der Steinzeit!
Das neue Gesetz hat doch auch positive Seiten: Einige Tierarten werden neu geschützt und überregionale Wildkorridore werden ausgeschieden.
Klar gibt es vereinzelt positive Aspekte. Doch das sind Feigenblätter, um ein inakzeptables Gesetz zu verschleiern. Kommt hinzu, dass kein einziger unserer Verbesserungsvorschläge aufgenommen wurde. Damit wurde die Chance für ein modernes Jagdgesetz verpasst, welches der tierquälerischen Jagdtradition ein Ende setzt.
Was fehlt denn konkret?
Erstens muss die sadistische Baujagd verboten werden. Sie ist grausam und für die Regulierung der Fuchspopulation unnötig. Zweitens müssen auch die Treibjagden zumindest eingeschränkt werden – auf höchstens zwei im gleichen Jagdgebiet.
Warum das?
Das Problem bei der Treibjagd ist, dass bis zu 30 Prozent der Tiere nicht tödlich getroffen werden. Sie leiden, verenden unter Todesqualen oder werden erst später auf der Nachsuche von ihren Leiden erlöst. Genaue Zahlen gibt es leider nicht, das führt uns zu unserer dritten Forderung.
Nämlich?
Es braucht eine schweizweite Meldepflicht zu Fehlschüssen und zum Resultat von Nachsuchen. Einzig der Kanton Graubünden führt eine solche Statistik. Die Fehlschussquote beträgt dort durchschnittlich 7 Prozent. Rechnet man diese Zahl auf die ganze Schweiz hoch, werden jährlich über 6000 Tiere angeschossen. Es ist inakzeptabel, dass das neue Jagdgesetz auf eine Meldepflicht verzichtet und damit derartige Tierschutzprobleme vertuscht.
Das Referendum am Jagdgesetz ändert doch nichts an diesem Umstand.
Schickt das Volk die jetzige Vorlage bachab, wird der Weg frei für ein zeitgemässes Jagdgesetz ohne Tierquälerei. Nach einem Nein werden wir auf jeden Fall einen neuen Anlauf nehmen, um unsere Forderungen durchzusetzen.
Wann startet die Unterschriftensammlung?
Kommt das Jagdgesetz in der Schlussabstimmung Ende September durch, wird es voraussichtlich am 8. Oktober im Bundesblatt veröffentlicht. Damit fällt auch der Startschuss für die Unterschriftensammlung.