Wann die App, die vor einer potenziellen Corona-Infektion warnt, kommen soll, ist noch nicht genau bekannt. Ab nächster Woche beginnt nun aber die Testphase, für die der Bundesrat eine befristete Verordnung verabschiedet hat. Eine ganze Reihe von Organisationen sollen allfällige technische Mängel und Probleme in der Benutzbarkeit aufdecken: Mitarbeitende von Spitälern und Verwaltung, der Eidgenössisch Technischen Hochschulen in Lausanne und Zürich, wie auch Armeeangehörige.
Doch Testphase hin oder her: Der Code der App ist bereits auf der Entwicklerplattform Github öffentlich zugänglich. «Mit einer guten Anleitung könnten vermutlich auch Laien die App installieren», sagt Pascal Fouquet (39), IT-Unternehmer und im Vorstand der Piratenpartei Bern, der sich den Code für BLICK angesehen hat. Fouquet hat viel Lob für die App. «Das Architekturdesign ist so, dass der Datenschutz im Vordergrund steht», sagt er. Zudem kommunizierten die Entwickler sehr offen über mögliche Probleme: «Sie haben damit schon mal sehr viel richtig gemacht.» Es werde aber stetig am Code weiterentwickelt, weshalb ein abschliessendes Urteil nicht möglich sei.
Sorgen wegen Bluetooth
Allen voran ist ein mögliches Problem die Bluetooth-Technologie. Zur Erinnerung: Statt mit Standortdaten sollen Handys mit der App dereinst via Bluetooth erkennen, ob man ein Ansteckungsrisiko hat. Sie informieren rückwirkend, ob man mit jemandem in Kontakt war, der später positiv getestet wurde. «Hier sind für mich viele Fragen offen», so Fouquet. Allen voran, ob die Bluetooth-Technologie überhaupt in der Lage sei, die berühmten zwei Meter Abstand zuverlässig zu messen. Und schliesslich gebe es eine «kunterbunte Mischung» an Chip- und Handy-Herstellern, deren Bluetooth alle ein bisschen anders funktioniere.
Marcel Salathé (44) von der ETH Lausanne verweist auf die Frage zu Bluetooth-Problemen auf die Zusammenarbeit mit Google und Apple. «Ohne die Techriesen ist die App gar nicht umsetzbar», sagt auch Erik Schönenberger von der Schweizerischen Digitalen Gesellschaft. Denn Bluetooth müsse im Hintergrund laufen, also auch dann, wenn die App gar nicht geöffnet ist. Und das ist im Normalfall nicht zugelassen – zu gross ist das Risiko, dass das Handy über diese Möglichkeit missbraucht wird.
Laut Informatiker Schönenberger braucht es für das digitale Contact Tracing daher nicht nur eine App, sondern grundlegende Änderungen in den jeweiligen Betriebssystemen. «Das ist nicht per se schlecht», so Schönenberger. Denn: Wenn die Techkonzerne diese Änderungen übernehmen, werde umgekehrt verhindert, dass die Regierungen einzelner Länder weitergehende Eingriffe in die Privatsphäre vornehmen können.
«Nutzen der App überschätzt»
Kritisch gegenüber dieser Zusammenarbeit mit Google und Apple ist Sébastien Fanti (49), streitbarer Datenschutzbeauftragter des Kanton Wallis. «Der Bundesrat muss hier viel transparenter kommunizieren», sagt er. Ohnehin werde der Nutzen der App überschätzt. Fanti zieht zum Vergleich Island heran, wo 40 Prozent der Bevölkerung eine ähnliche App installiert haben und sich die Wirkung in Grenzen hält. «Muss ich wirklich Freiheiten hergeben, damit ein paar Nerds sich austoben dürfen?»
Fanti machen vor allem die sogenannten «falschen Positive» Sorgen – wenn die App allenfalls Fehlalarme auslöst, weil zum Beispiel eben die Abstände nicht richtig gemessen werden. «Das Herunterladen der App mag freiwillig sein. Man wird aber bei einer Warnung kaum vor die Wahl gestellt, ob man in Quarantäne will oder nicht», so Fanti. Für viele Menschen, insbesondere selbständig Erwerbende, bedeute das trotz Erwerbsersatz eine massive Einkommenseinbusse.