Allein schon die Inszenierung deutete auf eine Staatsaffäre hin. Vor drei Wochen trat die österreichische Staatsspitze vor die Medien. Ernste Mienen, dunkle Anzüge. Nach einer Krisensitzung der Regierung informierten Bundespräsident Alexander Van der Bellen (Grüne) und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über einen Spionageskandal, der das Land seither erschüttert.
Der deutsche Geheimdienst (BND) spähte in Österreich jahrelang rund 2000 Ziele aus. Moschee-Vereine, Ministerien, Firmen. Dies hatte die Zeitung «Der Standard» und das Magazin «Profil» einen Tag zuvor publik gemacht. «Das Ausmass der Überwachung war ein enormes», sagte Kurz. Und Van der Bellen betonte: «Ein Ausspähen unter Freunden ist nicht akzeptabel.»
Schweizer Firmen gerieten ab 1999 ins Visier
Ärger im Alpenland – der auch die Schweiz betrifft. Recherchen des SonntagsBlicks zeigen: Unter den ausspionierten Zielen sind mehr als ein Dutzend österreichische Niederlassungen von Schweizer Firmen. Sie sind auf geheimen Überwachungs-Dokumenten des BND gelistet. Die prominentesten Namen: der zur Novartis-Gruppe gehörende Generika-Hersteller Sandoz, der Logistikkonzern Panalpina, der Schraubenhersteller Bossard, der Labortechniker Tecan sowie Habasit, ein international tätiger Produzent von Antriebsriemen und Transportbändern mit Hauptsitz in Reinach BL.
Die Schweizer Firmen gerieten ab 1999 ins Visier des deutschen Geheimdienstes. Bis mindestens 2006 zapfte der BND deren Fax-Anschlüsse an und speicherte systematisch Telefon- und E-Mail-Daten. Ein Teil der abgefangenen Informationen floss auch an den US-amerikanischen Geheimdienst NSA.
Unklar ist bisher, was die deutschen Schlapphüte genau absaugten. Ob nur Metadaten – wer mit wem, wann und wo kommunizierte – oder auch Inhalte, also Telefongespräche und E-Mail-Konversationen. Ebenfalls im Dunkeln ist, ob die Bespitzelungen unterdessen gestoppt wurden.
War es Wirtschaftsspionage?
Die Enthüllungen sorgen für diplomatische Verstimmungen auf höchster Ebene. Kurz und Van der Bellen forderten von der deutschen Regierung eine baldige Aufklärung, die Wiener Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Das Kontrollgremium des deutschen Bundestages hat zudem angekündigt, beim BND zu prüfen, ob die Ziele in Österreich weiterhin ausgespäht werden. Und: Auch Unternehmen könnten schon bald gegen die Abhöraktionen vorgehen.
Die betroffenen Schweizer Firmen wollen sich zur Affäre zurzeit nicht äussern. Sie verweisen auf laufende Untersuchungen. Auch der BND mauert. Einzig der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) bestätigt, dass man Kenntnis habe von den Vorfällen und dass solche «mit eigenen Mitteln» bekämpft würden.
Dass Schweizer Firmen gezielt angezapft wurden, wirft die Frage auf, ob der BND Wirtschaftsspionage betrieben hat. Das wäre nach deutschem Recht unzulässig. Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom ist überzeugt, dass der deutsche Nachrichtendienst im Auftrag der USA handelte. Die Amerikaner hätten sich durch die gewonnenen Informationen einen Konkurrenzvorteil für ihre Wirtschaft verschaffen wollen. Und er sagt: «Ich bin mir sicher, dass der US-Geheimdienst und der BND auch in der Schweiz spionierten.»
Der BND richtete seine Abhörantennen in alle Richtungen
Claude Janiak (SP) will das nun klären. Er ist Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), die die parlamentarische Oberaufsicht über den Nachrichtendienst ausübt. Janiak will die Zusammenarbeit mit dem BND überprüfen lassen: «Wir werden uns im August zu einer Aussprache mit dem NDB-Chef treffen.» Fragen muss sich auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gefallen lassen. Sie, die im Zuge der Snowden-Affäre noch selber sagte: «Ausspähen unter Freunden geht gar nicht.»
Dass der BND Ziele in verschiedenen EU-Staaten ausspionierte, ist schon länger bekannt. Das jetzt publik gewordene Ausmass der Datensammelwut in Österreich erstaunt aber sogar Insider. Die geheime Abhörliste zeigt, dass die Deutschen vor nichts zurückschreckten.
Internationale Organisationen wie die Uno, die Atomenergieagentur oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sind genauso betroffen wie österreichische Ministerien, ausländische Botschaften und namhafte Konzerne. Der BND richtete seine Abhörantennen in alle Richtungen.