Kurz bevor das grosse Gezerre und Gedränge beginnt, liegt Langeweile über der Szene vor dem Bahnhof in Lausanne VD. Dutzende Kameraleute und Fotografen wären eigentlich schussbereit. Aber noch müssen sie sich mit medialen Aufwärmübungen begnügen: Sie nehmen die Klima-Kids in den Sucher, filmen und fotografieren routiniert bis gelangweilt einzelne Werke aus dem Bastelseminar der Aktivisten.
Alle warten auf zwei Zöpfe und ein Plakat: Greta Thunberg, 17 Jahre alt, Klimaaktivistin und weltberühmt, müsste längst da sein. Letztes Jahr hat das Mädchen aus Schweden den Mächtigen am WEF in Davos GR die Leviten gelesen, nun ist sie wieder im Land. An diesem Freitag will sie, wie es heisst, den Klimastreik in Lausanne besuchen.
Ein Bursche aus Thun BE grinst und deutet auf sein Plakat: «Die Erde ist heisser als meine Freundin», steht darauf, in Englisch. Er will versuchen, möglichst nah an Greta heranzukommen, um ein Selfie mit ihr zu schiessen, verkündet er. Er ist nicht der Einzige mit diesem Wunsch.
«Macht keine Probleme»
Die Menge wächst, droht, den Verkehr vor dem Bahnhof kollabieren zu lassen, mehr als 10'000 Demonstranten werden es am Ende des Tages sein. Der Streik lockt allerlei Figuren an: Etwa jenen Typen mit verkehrt herum aufgesetztem Bauarbeiterhelm in Orange, der dem deutschen Schauspieler Uwe Ochsenknecht ähnelt und der den Verkehr nun vollends lahmlegt. Der Mann, tatsächlich ein Deutscher, hämmert auf Autos ein und beschimpft Rollerfahrer, bis ihn eine energische Waadtländer Polizistin zu fassen bekommt und wegzerrt.
Lautes Kreischen in der Menge. Die Medien halten nun auf alles, was irgendwie aus der Masse hervorsticht. Hat Greta ein Taxi genommen, entsteigt sie einer Limousine, kommt sie zu Fuss? Wieder Unruhe, diesmal wegen des Schwarzen Blocks, der nun gewohnt martialisch auf der Bildfläche erscheint. Eine ältere Klimaaktivistin mit feuerrotem Haar beschimpft sie. Offenbar fürchtet die Demo-Dame, dass die jungen Linksautonomen die Bewegung vereinnahmen. «Macht keine Probleme», zetert sie und knallt einem Vermummten ihr Plakat an den Kopf.
Und auf einmal ist sie mittendrin
Dann geht plötzlich alles ganz schnell, mit einem Ruck beginnt der Marsch durch Lausanne. Greta ist nirgends zu sehen, doch auf einmal ist sie mittendrin. «Oh, sie ist ja winzig», raunen die Zaungäste am Strassenrand. Tatsächlich sieht die echte Greta anders aus als auf dem Bildschirm: kleiner, jünger, verletzlicher – sie ist wirklich noch ein Kind.
Gut ein Dutzend Aktivisten bilden eine Menschenkette um sie herum. Manche dieser Bodyguards tragen Stirnbänder wie Karatekämpfer und schauen grimmig drein. Auch zwei kräftige Männer, eindeutig keine Klimajugendlichen, gehören zu dieser Schutztruppe.
Von allen Seiten entsteht jetzt richtig Druck. In der Menge wird gezerrt, gestossen, geschoben. Jeder will einen Blick auf Greta erhaschen, es wird viel fotografiert, viele haben ihr Mobiltelefon gezückt. «Greta! Hallo! Wie gehts?»
Wie lange kann Greta noch in der Masse mitlaufen?
Die ikonische Schwedin reagiert nicht auf Zurufe, schaut traurig zu Boden und lässt die Schultern hängen. Ihr Markenzeichen, das Plakat, mit dem sie den Schulstreik als Klima-Kampfmittel erfand, hat sie unter den Arm geklemmt. Es ist ihre 74. Klimastreikwoche, vielleicht geht das ja irgendwann an die Substanz.
Eine Aktivistin neben Greta fällt im Tumult, Leute stolpern über die junge Frau, sie kommt wieder hoch, Panik im Blick und Tränen in den Augen. Für Schweizer Verhältnisse sind das ungewohnte Szenen, schliesslich kann hierzulande jeder Bundesrat, jeder Filmstar ungestört Tram fahren. So jedenfalls die Legende.
Kurzer Marschhalt auf Höhe des Palace, neugierige Blicke aus dem Grandhotel. Ein Seniorenpaar wagt sich nach vorne, die Frau umklammert ihr Handy und lächelt selig, in erkennbarer Vorfreude auf ein Erinnerungsbild. Als sie nur noch eine Armlänge von Gretas Schutzschild entfernt ist, wird sie unsanft zur Seite gedrückt.
«Wir sind die Security», faucht eine junge Klimaaktivistin und stösst jeden weg, der ihr nicht passt. Die Nähe zu ihrem Vorbild scheint einigen Beschützern nicht gut zu bekommen. Und es stellt sich durchaus die Frage, ob Greta noch lange auf diese Weise in der Masse mitlaufen kann.
Am Mikrofon wird das Kind wieder zur Ikone
Ankunft auf der Place de la Riponne, wo sie zu ihren Anhängern und Dutzenden Kameras sprechen wird. Zuerst aber ist eine Vielzahl von Vorrednern an der Reihe, namentlich die jungen Männer unter ihnen gefallen sich im Rampenlicht, ihre einleitenden Worte wollen nicht enden.
Sie wissen, wenn Greta erst einmal am Mikrofon war, hört ihnen nachher keiner mehr zu. Endlich schweigen sie und alle starren zur Treppe hoch – denn alle ahnen: Greta wird von oben erscheinen. Es ist jetzt sehr still. Und tatsächlich schreitet die «Person of the Year» die Treppe hinunter auf das Mikro zu. Gekreische, Jubel, Freude.
Greta lacht jetzt zum ersten Mal an diesem Tag. «Bonjour, Lausanne!», sagt sie zur Begrüssung – und dann spricht sie. Frei, druckreif, entschieden, auf Englisch: «Ihr habt bisher nichts von uns gesehen. Wir sind noch mehr. Diese Nachricht werden wir ans WEF bringen!»
Von oben setzt Regen ein, Sprechchöre kommen von unten. Aus dem Kind Greta ist wieder die Ikone geworden.
Jetzt geht es los: Nach einer Kundgebung am Mittag in Landquart GR wandern die WEF-Kritiker am Sonntag nach Schiers. Von dort zieht die Karawane unter dem Motto «Strike WEF» weiter nach Klosters. Dann geht es am Dienstag, dem Eröffnungstag des World Economic Forum, von Klosters nach Davos.
Für die letzte Etappe am WEF-Eröffnungstag haben die Veranstalter keine Bewilligung. «Brauchen wir auch nicht», teilten sie am Samstag mit. Man werde über «nicht bewilligungspflichtige» Wege nach Davos wandern und dort um 15 Uhr an einer Kundgebung teilnehmen. Diese wurde von den Bündner Jungsozialisten organisiert und wurde von den Ordnungsbehörden ebenfalls zugelassen.
Ein Spaziergang auf Wanderwegen von Klosters nach Davos sei nicht grundsätzlich bewilligungspflichtig, heisst es bei der Stabsstelle des WEF-Ausschusses der Bündner Regierung. Die Teilnehmer wanderten auf eigene Verantwortung und müssten damit rechnen, dass die Wege teilweise vereist und mit Schnee bedeckt seien.
Inzwischen ist klar, dass Klima-Ikone Greta nicht mitwandern wird. Sie spricht jedoch am Eröffnungstag des WEF am Dienstag in Davos. Cyrill Pinto
Jetzt geht es los: Nach einer Kundgebung am Mittag in Landquart GR wandern die WEF-Kritiker am Sonntag nach Schiers. Von dort zieht die Karawane unter dem Motto «Strike WEF» weiter nach Klosters. Dann geht es am Dienstag, dem Eröffnungstag des World Economic Forum, von Klosters nach Davos.
Für die letzte Etappe am WEF-Eröffnungstag haben die Veranstalter keine Bewilligung. «Brauchen wir auch nicht», teilten sie am Samstag mit. Man werde über «nicht bewilligungspflichtige» Wege nach Davos wandern und dort um 15 Uhr an einer Kundgebung teilnehmen. Diese wurde von den Bündner Jungsozialisten organisiert und wurde von den Ordnungsbehörden ebenfalls zugelassen.
Ein Spaziergang auf Wanderwegen von Klosters nach Davos sei nicht grundsätzlich bewilligungspflichtig, heisst es bei der Stabsstelle des WEF-Ausschusses der Bündner Regierung. Die Teilnehmer wanderten auf eigene Verantwortung und müssten damit rechnen, dass die Wege teilweise vereist und mit Schnee bedeckt seien.
Inzwischen ist klar, dass Klima-Ikone Greta nicht mitwandern wird. Sie spricht jedoch am Eröffnungstag des WEF am Dienstag in Davos. Cyrill Pinto