«Die direkte Demokratie ist in Gefahr», warnt die SVP – weil vom Volk angenommene Volksinitiativen nicht umgesetzt würden. Mit diesem Argument kämpft die Partei für ihre Selbstbestimmungs-Initiative (SBI). Acht der insgesamt 22 vom Volk angenommenen Volksinitiativen in der Geschichte der Schweiz gelten als lückenhaft umgesetzt. Nur in wenigen Fällen wegen internationaler Verträge, wie das die SVP kritisiert. Meist waren andere Verfassungsbestimmungen oder schlichtweg die Rücksicht auf Interessengruppen der Grund dafür.
Entsprechend zurückhaltend gibt sich der geistige Vater der SBI. Bei einem Ja am 25. November müsste laut SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt (48) das Parlament nur bei einer einzigen Initiative nochmals über die Bücher – quasi rückwirkend. Nämlich bei der Ausschaffungs-Initiative – 2010 vom Volk angenommen. Kriminelle aus dem EU-Raum werden wegen des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU nicht gemäss Wortlaut des Begehrens ausgeschafft.
«Das ist eine unmittelbare Folge davon, dass das Bundesgericht das internationale Recht über die Verfassung gestellt hat», sagt der Rechtsprofessor. Bei einem Ja zur SBI werde das Parlament verpflichtet, «der Verfassung den Vorrang einzuräumen und die Ausschaffungs-Initiative so umzusetzen, dass sie auch gegenüber EU-Staatsangehörigen gilt».
Nicht überall Nachbessern nötig
Beim zweiten Grosserfolg der SVP, der 2014 angenommenen Masseneinwanderungs-Initiative, müsste sich das Parlament aber nicht nochmals in das Dossier knien. Vogt sagt zwar, das sei der «bislang krasseste Fall, wie der Volkswille vom Parlament missachtet wurde». Doch die Begrenzungs-Initiative, die das Personenfreizügigkeitsabkommen kündigen will, ist zustande gekommen.
Mit einem gewissen Augenmass hat das Parlament auch die Verwahrungs-Initiative (2004), die Unverjährbarkeits-Initiative (2008) und das Pädophilen-Berufsverbot (2014) umgesetzt. Auch hier soll gemäss dem SVP-Juristen bei einem SBI-Ja das Parlament nicht nachträglich nachbessern müssen – obwohl SVP-Exponenten die zu sanften Gesetze teils heftig kritisierten. «Die Europäische Menschenrechtskonvention, aber auch unsere Verfassung haben es geboten, die Vorlage zurückhaltend umzusetzen», nimmt Vogt das Parlament etwa bei der Verwahrungs-Initiative in Schutz.
Volkswillen à la carte
Und da sind auch noch drei von der Linken gewonnene Begehren, die kein wortgetreues Gesetz nach sich gezogen haben: Die Abzocker-Initiative (2013) sowie das Gesetz zur Zweitwohnungs-Initiative (2012). Letzteres ist gespickt mit Ausnahmen – auch auf Drängen der SVP. Und trotz Alpen-Initiative (1994) fahren heute kaum weniger LKW durch die Alpen.
«Man hat bei der Aushandlung des Landverkehrsabkommens mit der EU im Rahmen der Bilateralen I alles unternommen, die Alpen-Initiative umzusetzen», sagt Vogt. Man könne darum sagen, dass die Initiative umgesetzt sei. «Wenn das nicht genügend ist, muss man das Abkommen nachverhandeln oder sonst nochmals über die Initiative abstimmen.»
Die SVP versucht mit ihrer Selbstbestimmungs-Initiative also insbesondere dann den Volkswillen zu verteidigen, wenn dieser mit dem SVP-Willen deckungsgleich ist. In anderen Fällen, wie der Zeitwohnungs-Initiative, geht die Volkspartei ähnlich selektiv damit um, wie sie ihren politischen Gegnern vorwirft.