Die SVP hat am Abstimmungswochenende gleich reihenweise Niederlagen eingefahren. Auf nationaler Ebene beim Ja zum Waffenrecht, im Kanton Bern beim Nein zum Sozialhilfe-Gesetz oder in Basel bei der angenommenen Reichensteuer-Initiative. SVP-Chef Albert Rösti (51) macht diese Entwicklung Sorgen. Bei einem Kaffee in Bern geht er in die Offensive.
BLICK: Herr Rösti, die SVP ging bei den Abstimmungen unter. Ein Horror-Wochenende?
Albert Rösti: Die Schweizer stimmten am Wochenende mit der Pistole an der Schläfe ab. Sie konnten ihre Meinung nicht frei äussern.
Jetzt übertreiben Sie.
Nein, wer Ja zur Steuer-Vorlage sagen wollte, musste auch eine AHV-Geldspritze gutheissen oder umgekehrt. Und der Abstimmungskampf beim Waffenrecht drehte sich fast ausschliesslich um die Drohung, dass man bei einem Nein die Mitgliedschaft bei Schengen verliert. Solche Abstimmungen unter Drohgebärden werden sich häufen, wenn die Schweiz den EU-Rahmenvertrag unterzeichnet. Dann würde stets argumentiert, dass sonst die bilateralen Verträge aufgekündigt würden – das wäre das Ende der direkten Demokratie.
Welche Abstimmungsniederlage schmerzt Sie am meisten?
Das Nein in Bern zu einer sinnvollen und geringfügigen Korrektur in der Sozialhilfe. Die linke Stadt hat die ländlichen Gebiete, in denen hart gearbeitet wird, überstimmt. Bei vielen Jungen fehlt dank der grosszügigen Sozialhilfe der Anreiz zu arbeiten. Die Reform hätte das ansatzweise endlich geändert!
Es ging nicht nur um Anreize, die Berner Regierung wollte den Grundbedarf deutlich senken.
Sozialhilfeempfänger, die sich aktiv um einen Job bemühen, hätten unter dem Strich nicht weniger bekommen. Dass eine solche Reform in der Schweiz nicht mehr möglich ist, macht mir Sorgen.
Die Bevölkerung sieht das anders. Links gewinnt, rechts verliert. Was machen Sie falsch?
Die Linke betreibt mit Hilfe der Mitteparteien eine verantwortungslose Politik. Der Schweiz geht es wirtschaftlich und auch bezüglich Staatsfinanzen sehr gut. Die guten Zeiten werden missbraucht, um den Sozialstaat auszubauen, anstatt für schlechtere zu sparen. Die Linke führt die Schweiz in die Knechtschaft des eigenen Staates. Der Mittelstand muss immer mehr strampeln, um die steigenden Steuern und Abgaben tragen zu können. Und es bleibt ihm weniger Geld zum Leben. Damit sinkt der Wohlstand. Die Linke macht die Schweiz kaputt.
Nennen Sie Beispiele!
Die Schweiz braucht doch keinen Vaterschaftsurlaub. Jeder Chef lässt einen Vater nach der Geburt seine Ferien einziehen. Absolut unverantwortliche Symptombekämpfung ist auch der Vorschlag des Bundesrats, für ältere Arbeitnehmer eine Überbrückungsrente einzuführen. Wer mit 58 arbeitslos wird, kann zwei Jahre Arbeitslosengeld und danach eine Überbrückungsrente bis zur Pension beziehen. Bezahlen muss diese «Verrentung» der Schweiz der Mittelstand. Wie in Griechenland, das daran pleiteging.
Ältere Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren, finden in vielen Fällen keinen neuen mehr. Das ist doch ein Problem!
Ja, weil die vom Volk angenommene Masseneinwanderungs-Initiative nicht umgesetzt wurde. Der Bundesrat verschärft das Problem aber noch. Firmenchefs können mit einem besseren Gewissen ältere Arbeitnehmer entlassen und werden dies auch tun. Weil sich ja der Staat nun finanziell um diese Personen kümmert.
Was schlagen Sie vor?
Es braucht einen richtigen Inländervorrang. Arbeitgeber müssen wenn möglich Inländer anstellen und auch behalten – auch über 55-Jährige. Dazu muss die Konkurrenz junger, billiger Arbeitskräfte aus dem Ausland, sprich die Zuwanderung, gedrosselt werden. Die SVP verlangt dies mit der Begrenzungs-Initiative.
Im Frühling 2016 übernahm Albert Rösti (52) das SVP-Präsidium von Toni Brunner (45), der ihm eine Partei in Hochform übergab. Allerdings war Rösti an diesem Erfolg nicht ganz unschuldig: Seit 2011 im Nationalrat, amtete er als Wahlkampfleiter für die Wahlen 2015, bei welchen die SVP ein historisches Resultat erzielte. Der studierte Agronom wuchs als Bauernsohn in Kandersteg BE auf und lebt heute mit seiner Frau Theres und seinen beiden Kindern in Uetendorf BE. Seit 2014 ist er Gemeindepräsident.
Im Frühling 2016 übernahm Albert Rösti (52) das SVP-Präsidium von Toni Brunner (45), der ihm eine Partei in Hochform übergab. Allerdings war Rösti an diesem Erfolg nicht ganz unschuldig: Seit 2011 im Nationalrat, amtete er als Wahlkampfleiter für die Wahlen 2015, bei welchen die SVP ein historisches Resultat erzielte. Der studierte Agronom wuchs als Bauernsohn in Kandersteg BE auf und lebt heute mit seiner Frau Theres und seinen beiden Kindern in Uetendorf BE. Seit 2014 ist er Gemeindepräsident.
Auf die Abstiegsängste des Mittelstands hat die SVP aber keine Antworten.
Die Schweiz hat sich ihren Wohlstand als freies Land erarbeitet, das die Eigenverantwortung jedes Einzelnen stets gestärkt hat. Wenn jeder für sich selbst schauen kann, ist für alle geschaut. Sozialhilfe braucht es dann nur im Notfall. Der Abstieg des Mittelstands und generell der Schweiz wird dadurch eingeleitet, indem zentrale Werte der Schweiz geopfert werden – etwa die Unabhängigkeit und dass sich Leistung lohnt.
Sie beklagen den Ausbau des Sozialstaats. Was heisst das für die anstehende AHV-Reform?
Das Frauenrentenalter muss auf 65 Jahre steigen. Und zwar ohne dass wir Hunderte Millionen Franken in einen sozialen Ausgleich stecken. Das bringt nichts. Wir haben bei der letzten Rentenform einen massiven Ausbau des Sozialstaats verhindert. Die CVP als damalige Verliererin wird sich nun gut überlegen müssen, ob sie wieder mit der Linken paktiert oder einer bürgerlichen Reform zum Durchbruch verhilft.
Die AHV braucht auch Mehreinnahmen. Um wie viel soll die Mehrwertsteuer steigen?
Gar nicht! Stattdessen muss der Bund einen höheren Beitrag an die AHV leisten. Bei einem 70-Milliarden-Budget und nach den Milliardenüberschüssen der letzten Jahre ist das möglich. Zudem wollen wir bei der Entwicklungshilfe eine Milliarde einsparen und der AHV zuweisen. Die Linke bis zur CVP können da den Tatbeweis erbringen, dass ihr unsere Senioren wichtiger sind als ausländische Projekte.
Vor den Sommerferien entscheidet der Bundesrat über das Rahmenabkommen. Was erwarten Sie?
Der Bundesrat muss der EU klar kommunizieren, dass der Vertrag in dieser Form nicht annehmbar ist, weil er uns in die Knechtschaft führt. Ich gehe aber leider davon aus, dass der Bundesrat weiterhin auf Zeit spielt – um den Vertrag nach den Wahlen dann doch zu unterschreiben.
Derzeit dominiert noch ein ganz anderes Thema: der Frauenstreik am 14. Juni. Demonstrieren Sie mit?
In einem Punkt solidarisiere ich mich mit den Frauen: Die Gewalt an Frauen ist abscheulich. Dagegen darf man ruhig auf die Strasse gehen. Diese Gewalt hat aber einen Namen: Das sind mehrheitlich kriminelle Ausländer! Wir müssen diese Täter härter anpacken. Doch diese Problematik wird von den Linken leider totgeschwiegen, weshalb die bürgerlichen Frauen wohl arbeiten werden.
Das ist doch zynisch. Die SVP blockiert Verschärfungen etwa bei häuslicher Gewalt.
Häusliche Gewalt ist unannehmbar. Laut Statistik sind es mehrheitlich Migranten. Da muss man das Problem an der Wurzel anpacken und kriminelle Ausländer ausschaffen.
Die Frauen demonstrieren auch gegen Lohndiskriminierung.
Ich wehre mich nicht gegen gleiche Löhne für gleiche Arbeit. Aber gegen bürokratische Vorschriften und Gleichmachertum.
In Zürich kandidiert Model Tamy Glauser für die Grünen für den Nationalrat. Würden Sie sich über die bekennende Lesbe als Ratskollegin freuen?
Ich habe sie im Bundeshaus getroffen. Sie ist nett. Jede hat das Recht, für den Nationalrat zu kandidieren. Sie verkörpert aber auch den Widerspruch der links-grünen Klimahysterie. In der Welt herumjetten und dann mit veganem Essen das Klima retten zu wollen, geht nicht auf. Zumal in der Schweiz auf zwei Drittel der Fläche nur über die tierische Produktion Lebensmittel hergestellt werden können. Kommt hinzu, dass Veganismus ungesund ist und Jugendliche hinsichtlich Fehlernährung gefährdet.
Zum Schluss noch ein Blick über die Grenze: Österreich steckt in einer Staatskrise. Wäre das hierzulande auch möglich?
Verfehlungen von einzelnen Politikern sind auch hier nie ausgeschlossen. Deswegen würde unser Land aber nicht gleich in eine Krise gestürzt. Dank unseres Konkordanzsystems und der direkten Demokratie verfügen wir über Stabilität. Ein Grund mehr, der EU und einem Rahmenvertrag fernzubleiben.
Mit der FPÖ steht eine Rechtspartei im Fokus. Stehen Sie mit dieser in Verbindung?
Nein, wir haben keinerlei Verbindungen zur FPÖ – weder ich noch die SVP. Ich habe niemanden von denen je getroffen. Wir sind ein neutrales Land, und als Partei kümmern wir uns um die Schweiz. Deshalb verzichten wir bewusst auf solche Kontakte.
SVP-Chef Albert Rösti warnt vor einem weiteren Ausbau des Sozialstaats. Tatsächlich sind die Gesamtausgaben für die soziale Sicherheit in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Von 1990 bis 2016 haben sie sich auf rund 185 Milliarden Franken verdreifacht.
Den Löwenanteil von rund 90 Prozent machen dabei die direkten Sozialleistungen aus – vor allem für die Altersvorsorge sowie Krankheitskosten. 2016 summierten sich die Sozialleistungen auf 170 Milliarden Franken. Der Rest resultiert aus Verwaltungs- und Durchführungskosten.
Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) machten die Gesamtausgaben der sozialen Sicherheit im Jahr 2016 28,1 Prozent aus, die Sozialleistungen 25,8 Prozent. Die Quote ist damit deutlich gestiegen: 1990 lagen die Anteile erst bei 17,6 beziehungsweise 15,7 Prozent.
Was hingegen einigermassen stabil geblieben ist, ist der Anteil der gesamten Staatsausgaben am BIP – die sogenannte Staatsquote. Diese beträgt gut einen Drittel. (rus / nmz)
SVP-Chef Albert Rösti warnt vor einem weiteren Ausbau des Sozialstaats. Tatsächlich sind die Gesamtausgaben für die soziale Sicherheit in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Von 1990 bis 2016 haben sie sich auf rund 185 Milliarden Franken verdreifacht.
Den Löwenanteil von rund 90 Prozent machen dabei die direkten Sozialleistungen aus – vor allem für die Altersvorsorge sowie Krankheitskosten. 2016 summierten sich die Sozialleistungen auf 170 Milliarden Franken. Der Rest resultiert aus Verwaltungs- und Durchführungskosten.
Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) machten die Gesamtausgaben der sozialen Sicherheit im Jahr 2016 28,1 Prozent aus, die Sozialleistungen 25,8 Prozent. Die Quote ist damit deutlich gestiegen: 1990 lagen die Anteile erst bei 17,6 beziehungsweise 15,7 Prozent.
Was hingegen einigermassen stabil geblieben ist, ist der Anteil der gesamten Staatsausgaben am BIP – die sogenannte Staatsquote. Diese beträgt gut einen Drittel. (rus / nmz)