Die SVP-Parteizeitung heisst «Klartext», doch was SVP-Nationalrätin Verena Herzog, Mitglied der Bildungskommission, dort schrieb, war nicht nur klar, sondern für viele auch empörend: Frühförderung für Kinder und Krippen erinnerten sie «an das verwerfliche Gedankengut, mit welchem die Verdingkinder zur besseren Erziehung weggegeben wurden». Verbände beider Seiten, der ehemaligen Verdingkinder wie der Kinderkrippen, zeigten sich über diesen Vergleich erschüttert. BLICK kritisierte die SVP-Politikerin hart. Aber auch in ihrer Partei, etwa von Fraktionskollegin Nadja Pieren, selber Inhaberin einer Krippe, distanzierte man sich von Herzog. Gestern stellte sie sich einem Interview mit BLICK. Doch wer sich Worte der Entschuldigung oder auch nur des Bedauerns erhofft, der wird enttäuscht.
BLICK: Frau Herzog, Sie stellen die Angebote zur Frühförderung mit dem Schicksal von Verdingkindern gleich, die zur besseren Erziehung und als billige Arbeitskräfte den Eltern weggenommen wurden. Was soll dieser deplatzierte Vergleich?
Verena Herzog: In Bundesbern sind Bestrebungen im Gang, die Frühförderung der null- bis vierjährigen Kinder massiv auszubauen. In der zuständigen Bildungskommission konnte mir niemand beantworten, was mit jenen Eltern passiert, die ihre Kinder nicht in die Frühförderung schicken wollen. Kindergärten waren zu Beginn auch freiwillig und wurden dann verpflichtend. Dasselbe wäre für die Frühförderung fatal. Mit dem Vergleich warnte ich vor staatlichen Eingriffen in die Familie.
Die Schweiz ist meilenweit davon entfernt, dass Babys und Kleinkinder in die Früherziehung gezwungen werden!
Ein solcher Zwang kann aber jederzeit kommen – und ich warne lediglich davor. Es darf auch keinen impliziten, moralischen Zwang geben, indem behauptet wird, der Staat könne für eine bessere Erziehung sorgen als Familien. Eltern dürfen nicht unter Druck gesetzt werden. Der Staat soll am besten seine Finger von den Kindern lassen.
Die Behörden haben Familien ihre Kinder entrissen und so in die Ausbeutung und Misshandlung geschickt. Ihr Vergleich ist abscheulich, weil sie damit das Leid der Verdingkinder relativieren.
Meine Absicht ist genau das Gegenteil. Ich will verhindern, dass ein solches Leid, wie es Verdingkinder erleben mussten, jemals wieder geschieht. Eltern dürfen sich nie mehr genötigt fühlen, ihre Kinder wegzugeben. Deshalb warne ich vor der Einführung einer obligatorischen Früherziehung, die übrigens vor allem von den Mitte-links-Parteien angestrebt wird. Sie wollen dadurch die verfehlte Migrationspolitik kompensieren.
Nochmals: Es gibt weder obligatorische Früherziehung noch eine Pflicht, Kinder in die Kita zu schicken. Mit Ihrem Vergleich beleidigen Sie alle Kita-Einrichtungen. Denn Sie sagen implizit, den Kindern in der Kita gehe es so schlecht wie damals den Verdingkindern.
Das ist Ihre Fehlinterpretation! Kitas sind von der Idee her eine wichtige Einrichtung – und nötig für all jene Eltern, die ihre Kinder nicht rund um die Uhr betreuen können und wollen. Aber Familien müssen selber entscheiden können, welches Modell sie leben. Der Staat soll keines der Modelle bevorzugen oder fördern.
Die Politik hat aber ein gutes Recht, für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen. Damit Frauen nach einer Geburt einfacher im Erwerbsleben bleiben können, wenn sie dies wollen. Dies führt ja auch dazu, dass die Schweiz weniger auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist, was der SVP ja passen sollte.
Absolut einverstanden, aber bitte ohne immer noch mehr staatliche Mittel zu fordern.
Studien zeigen auch: Eine staatliche Frühförderung ist gut fürs Kind.
Für gewisse Kinder kann es eine Bereicherung sein, für andere nicht. Es kommt erstens auf das Kind, zweitens auf das Mass und drittens auf die Qualität der Tagesstätte an. Ein bis zwei Tage in der Kita gehen meistens in Ordnung. Für das Kindeswohl ist es jedoch sicherlich nicht gut, wenn die Kleinen jeden Tag in der Krippe verbringen. In den ersten drei Lebensjahren sind für die Entwicklung des Kindes und die wichtige Bindungsfähigkeit konstante Bezugspersonen entscheidend. In einigen Kitas wechselt das Personal dafür leider oft. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass Vollzeit-Kita-Kinder aggressiver sind und in der Entwicklung gehemmt werden. Babys leiden teilweise unter Verlustängsten.
Sie sagen, der Staat dürfe kein Lebensmodell vorschreiben, kritisieren aber jene Eltern, die ihr Kind die ganze Woche fremdbetreuen lassen.
Ich verstehe dies vor allem in finanziellen Notlagen. Ich kann aber beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie eine Mutter freiwillig ihre kleinen Kinder gänzlich «abgeben» kann, um weiterhin Vollzeit zu arbeiten. Aber ich akzeptiere das. Die Fremdbetreuung soll dann einfach auch von diesen Familien bezahlt werden. Es darf und soll nicht alles vom Staat gefordert werden – das auf Kosten von denen, die ihre Kinder selber betreuen oder keine Kinder haben. Der schleichenden Verstaatlichung trete ich entschieden entgegen.
Sie haben drei Kinder. Wurden diese je fremdbetreut?
Das erste Kind ging zeitweise in die Spielgruppe, das zweite einige Stunden ins Malatelier. Die Betreuung konnten wir familiär lösen. Wenn ich arbeitete, schauten meine Eltern oder Schwiegereltern zu den Kindern. Leider haben nicht alle Familien dieses Glück, sondern sind auf Fremdbetreuung angewiesen.