Foto: Philippe Rossier

SVP-Chef Albert Rösti übt Selbstkritik
«Ich habe zu spät auf den Klima-Trend reagiert»

Nach dem Absturz bei den Wahlen kritisiert SVP-Chef Albert Rösti die Abweichler in seiner Partei – und nimmt sich selber an der Nase.
Publiziert: 30.11.2019 um 23:37 Uhr
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Bei den Wahlen hat die SVP eine Niederlage eingefahren.
Foto: keystone-sda.ch
Interview: Simon Marti und Camilla Alabor

SonntagsBlick: Herr Rösti, als die SVP 1999 die Wahlen gewann, pochte sie auf einen zweiten Bundesratssitz. Nun haben die Grünen massiv zugelegt – doch Sie verweigern ihnen den Einzug in die Landesregierung. Warum ignoriert die SVP den Volkswillen?
Albert Rösti:
Unser Anspruch damals war legitim. Genauso haben die Grünen das Recht, im Dezember anzutreten. Die SVP stellt sich aber hinter die aktuelle Konkordanz, sofern sich die anderen ­Regierungsparteien daran halten. Zudem gibt es derzeit keine Vakanzen.

Als die SVP 2003 Ruth Metzler aus dem Bundesrat verdrängte, gab es ebenfalls keine Vakanz!
Kandidieren darf man immer. Aber der Angriff der Grünen auf die italienische Schweiz ist un­verständlich. Die regionale Ver­tretung ist in der Verfassung fest­geschrieben.

Werden Sie denn eine grüne Kandidatur unterstützen, wenn die Partei ihren Wähleranteil in vier Jahren halten kann?
Für die SVP ist jetzt wichtig, dass Stabilität und Kontinuität gewahrt werden. Weiteres entscheiden wir nach den Wahlen in vier Jahren.

Ihre Antwort zeigt doch: Die SVP ist endgültig in der von ihr so ­geschmähten Classe politique angekommen, im bürgerlichen Machtkartell.
Davon sind wir weit entfernt! Wir sind zum Beispiel die Einzigen, die gegen eine Anbindung an die EU kämpfen.

Die CVP schlägt jetzt einen Konkordanz-Gipfel vor, um die Zukunft der Konkordanz zu verhandeln. Werden Sie daran teilnehmen?
Mir gefällt der Begriff Gipfel nicht. Ich habe mich noch nie einem Gespräch verweigert, glaube aber nicht, dass die Parteien aktuell eine bessere Lösung finden werden.

Eine Idee, um die politischen Kräfte in der Landesregierung besser abzubilden, wäre deren Erweiterung auf neun Bundes­räte.
Davon halte ich nichts. Das bläht nur die Verwaltung unnötig auf.

Die Diskussion über die Zusammensetzung des Bundesrates ­begann am Wahlsonntag. Wie stark steckt der SVP die Niederlage vom 20. Oktober noch in den Knochen?
Wir sind noch immer die mit Abstand stärkste Partei. Die SVP wird aber eine schonungslose Analyse vornehmen. Denn ein Wählerrückgang von 3,8 Prozent hängt auch mit internen Faktoren zusammen.

Die da wären?
Wenn man nicht auf Parteilinie ­politisiert, kommt es nicht gut. Zum Beispiel hatten die Sektionen in Freiburg und in der Waadt Mühe mit der klaren Abgrenzung der SVP Schweiz von der Klimapolitik der Grünen. Wo aber von der Partei­linie abgewichen wurde, waren die Verluste grösser.

Und weiter?
Interne Streitereien sind immer negativ. Dass wir in Basel und in Neuenburg je einen Sitz verloren haben, ist damit zu erklären.

Drei, die Federn lassen mussten

Die SVP war mit einem Verlust von 3,8 Prozentpunkten nicht die einzige Verliererin am Wahlsonntag: Auch die anderen Bundesratsparteien haben Verluste eingefahren. Die SP ist von 18,8 auf 16,8 Prozent abgestürzt; der Wähleranteil der FDP ist von 16,4 auf 15,1 Prozent gesunken. Gute Miene zum bösen Spiel machen auf dem Bild Albert Rösti (SVP), Petra Gössi (FDP) und Christian Levrat (SP, v. l.).

Die SVP war mit einem Verlust von 3,8 Prozentpunkten nicht die einzige Verliererin am Wahlsonntag: Auch die anderen Bundesratsparteien haben Verluste eingefahren. Die SP ist von 18,8 auf 16,8 Prozent abgestürzt; der Wähleranteil der FDP ist von 16,4 auf 15,1 Prozent gesunken. Gute Miene zum bösen Spiel machen auf dem Bild Albert Rösti (SVP), Petra Gössi (FDP) und Christian Levrat (SP, v. l.).

Welche Fehler haben Sie gemacht?
Ich habe zu spät auf den Klima-Trend reagiert. Und damit meine ich nicht eine Kehrtwende wie die der FDP. Ich hätte schon Anfang Jahr unsere klaren Gegenposi­tionen zum grünen Raubzug auf das Portemonnaie des Mittelstands markieren müssen.

Warum haben Sie das nicht getan?
Hinterher ist man immer gescheiter. Aber die Schweiz allein kann das Weltklima nicht beeinflussen. Für unseren Wohlstand ist zum Beispiel die Wahrung der Unabhängigkeit von Europa viel wichtiger. Wir tun, was richtig ist, nicht, was im Trend liegt.

Wie wird sich die neue Legislatur entwickeln, jetzt, wo die Mehrheit von FDP und SVP im Nationalrat gekippt ist?
Sie wissen ganz genau, wie wenige Abstimmungen auf der rechten Seite gewonnen wurden. Wir waren uns oft einig mit der FDP, allerdings gab es immer wieder freisinnige Abweichler. In der letzten Legislatur hat Gerhard Pfister die CVP so diszipliniert, dass es immer schwieriger wurde, die fehlenden rechten Stimmen mit Hilfe konservativer CVPler zu kompensieren.

Was heisst dieses verschobene Kräfteverhältnis für die nächste Legislatur?
In wichtigen Bereichen werden wir vermehrt das Referendum ergreifen. Den Rahmenvertrag mit der EU müsste der Bundesrat schon aus rechtlicher Sicht dem obligatorischen Referendum unterstellen. Und das vorliegende CO2-Gesetz werden wir sicher auch bekämpfen.

Reine Verhinderungspolitik also.
Wenn man ein Gesetz verhindert, das die Schweiz in ihrer Freiheit und ihrem Wohlstand einschränkt, ist das ein Fortschritt.

Zurück zum CO2-Gesetz: Soll denn die Schweiz keinen Beitrag gegen den Klimawandel leisten?
Doch. Aber das CO2-Gesetz ist ­betreffend Klimawandel kontraproduktiv.

Wie bitte?
Erstens führt das faktische Verbot von Ölheizungen dazu, dass Eigentümer alte Ölheizungen länger als üblich laufen lassen, anstatt diese durch Modelle mit einem geringeren Ausstoss zu ersetzen. Zweitens verschlechtern höhere Benzin­preise die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Produktion. Das führt zu höheren Importen und ­einem höheren CO2-Ausstoss. Der Aufschlag von zwölf Rappen pro ­Liter hat null Reduktion zur Folge: Jene, die betroffen sind, können ­sowieso nicht ausweichen.

Dann plädieren Sie für eine höhere Abgabe?
Natürlich nicht! Würde man den Aufschlag so hoch ansetzen, dass die Leute ihr Verhalten ändern, so würde das zur Verarmung der Landbevölkerung führen. Auch die Flugticketabgabe ist, drittens, kontraproduktiv, da sie einfach zu einer Umgehung der Schweizer Flughäfen führt.

In anderen Worten: Die Schweiz soll gar nichts tun.
Nein, das sage ich nicht. Wir müssen Innovationen fördern und diese weltweit exportieren.

Von der Klima- zur Europapolitik. Vor den Wahlen hatten Sie gewarnt, die anderen Parteien würden das Rahmenabkommen nach dem 20. Oktober durchwinken. Das ist nicht passiert.
Der Bundesrat hat den Entscheid einfach verschoben: Er will erst die Begrenzungsinitiative vom Tisch haben, um danach den Rahmenvertrag durchzubringen. Umso wichtiger ist deshalb ein Ja zu unserer Vorlage. Ich rate Ihnen: Machen Sie einen Ausflug aufs Stockhorn.

Machen wir gerne. Wozu denn?
Von dort aus haben Sie eine herrliche Aussicht auf Thun. Dann sehen Sie, wie viel Infrastruktur und Fläche 50'000 Personen brauchen. Können wir uns jedes Jahr ein neues Thun leisten? Nein. Denn wenn es in Europa nur zu einer kleinen Rezession kommt, wird die Immigration in die Schweiz extrem zunehmen und die Arbeitslosigkeit ansteigen. Eine Zehn-Millionen Schweiz müssen wir verhindern.

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