Die Zahlen schreckten auf: Fast jede zweite Frau wurde schon Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen. Dies ermittelte eine Studie der Dachorganisation der Frauenhäuser (DAO) im November.
Die vom Zürcher Institut Sotomo durchgeführte Umfrage dominierte Zeitungen und News-Portale (auch Blick berichtete). Nirgends fehlte der Hinweis, dass der Kampf gegen Gewalt an Frauen dringend mehr öffentliche Gelder brauche.
Jetzt zeigt sich, dass die Zahlen aufgeblasen sind. Gemäss einer neuen Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) machten 2021 gerade mal 3 Prozent der Frauen physische Gewalterfahrungen in Paarbeziehungen. Zählt man psychische Gewalt hinzu, sind es 13,4 Prozent. Der «Tages-Anzeiger» berichtete zuerst über diese Studie.
Drei Booster sorgen für höhere Zahlen bei Sotomo
Hinter den unterschiedlichen Resultaten stecken unterschiedliche Methoden. ZHAW-Forscher Dirk Baier wählte für seine Studie ein repräsentatives Sample von 18’686 Personen und verschickte Online-Einladungen zur Teilnahme.
Die Sotomo-Umfrage hingegen stand allen offen, die Leute wurden über Online-Portale gesucht. «Es nehmen dann hauptsächlich Personen teil, die Erlebnisse zu berichten haben, was die Raten in die Höhe treibt», kritisiert Baier.
Hinzu kommt, dass die Sotomo-Studie offenlässt, was Gewalt ist. Von Beleidigungen bis zu Vergewaltigung – alles kam in den gleichen Topf. Auch das steigert die Betroffenheit.
Der dritte Zahlen-Booster ist die fehlende zeitliche Begrenzung. Sotomo zählt auch Gewalterfahrungen dazu, die 30 Jahre zurückliegen. Baier: «Das erhöht die Raten, wirft aber ein teilweise falsches Licht auf die aktuelle Situation.»
Auch seine Studie sei keineswegs perfekt, sagt Baier. So nahm nur knapp jede fünfte eingeladene Person letztlich auch an der Befragung teil.* «Aufgrund der Methodik würde ich aber vermuten, dass die Ergebnisse unserer Studie derzeit die Realität etwas besser abbilden als die Sotomo-Studie.»
Ikea bezahlt die Plakatkampagne
Dass die Wahl der Methode politisch gesteuert war, bestreitet Sotomo-Studienautorin Sarah Bütikofer: «Wir hatten keine Erwartungen an die Ergebnisse.» Auch DAO-Generalsekretärin Lena John sagt, man habe «mit dieser Studie keinerlei politische Intention» verfolgt.
Die Sotomo-Studie wird vom eidgenössischen Gleichstellungsbüro mit 120’000 Franken finanziert. Die Kosten für die Plakatkampagne übernahm der Möbelhändler Ikea. Die Studie vom November war nur der Anfang: Schon im Frühling ist die nächste Umfrage geplant.
* Dieser Satz wurde nachträglich zum Artikel hinzugefügt.