Streitgespräch zwischen Befürworter und Gegner der Präimplantations-Diagnostik
«Eltern müssen selber entscheiden können»

Am 14. Juni entscheidet das Stimmvolk über den Verfassungsartikel zur Fortpflanzungsmedizin. Dieser schafft die Grundlage für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID). CVP-Nationalrat Christian Lohr (TG, 53) bekämpft die Vorlage. FDP-Ständerat Felix Gutzwiller (ZH, 67) ist dafür.
Publiziert: 09.06.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:41 Uhr
PID-Abstimmung: Lohr und Gutzwiller im Streitgespräch
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:PID-Abstimmung: Lohr und Gutzwiller im Streitgespräch
Von Ruedi Studer

BLICK: Herr Lohr, mögen Sie Paaren ein gesundes Kind nicht gönnen?
Christian Lohr:
Kinder sind das schönste Geschenk im Leben. Und ich wünsche jeder Familie ein gesundes Kind. Mir geht es um etwas ganz anderes.

Nämlich?
Lohr:
Mich treibt der Einsatz für das Leben und gegen das rein selektive Denken an. Wir dürfen nicht nur über Einzelfälle reden, sondern müssen die gesamtgesellschaftliche Entwicklung und Werthaltungen im Auge behalten.

Herr Gutzwiller, vernebelt der Blick auf Einzelfälle die Gesamtsicht?
Felix Gutzwiller:
Überhaupt nicht. Paare sollen zusammen mit ihren Ärzten entscheiden können, welche Methoden sie anwenden, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Die Entscheidungsautonomie der Betroffenen ist auch ein wichtiges generelles Grundprinzip, welches zur Debatte steht.

Weshalb aber sollen Erbkrankheiten überhaupt gezielt verhindert werden?
Gutzwiller:
Es gibt Paare, die wegen einer drohenden Erbkrankheit auf eine Schwangerschaft verzichten. Andere machen eine Schwangerschaft auf Probe – und brechen die Schwangerschaft im Krankheitsfall ab. Das ist doch eine Zumutung und eine Last für die Betroffenen. Mit der PID können wir solche Fälle verhindern. Wir helfen den Eltern, ein gesundes Kind zu bekommen.
Lohr: Ich wehre mich entschieden dagegen, dass das Leben mit einer Behinderung als Risiko, als Zumutung oder unschätzbare Belastung betrachtet wird. Es gibt PID-Befürworter, die sogar von der Ausrottung von Behinderungen reden. Das finde ich bedenklich.
Gutzwiller: So eine Aussage würde ich nie unterstützen! Ich wüsste von keinem meiner Mitstreiter, dass er so etwas sagt. Ich wehre mich gegen die Unterstellung, dass die Befürworter etwas gegen Behinderte haben.
Lohr: Ihnen will ich das auch gar nicht unterstellen. In der jetzigen Debatte werden aber immer wieder Argumente vorgebracht, die mich spüren lassen, dass Behinderungen als etwas Negatives betrachtet werden. Es gibt Menschen, die das Thema Behinderung möglichst weit von sich halten wollen.

Sie befürchten, dass der Druck auf Behinderte steigt?
Lohr:
Nicht die Behinderten, sondern die Paare werden enorm unter Druck gesetzt. Die Gesellschaft erwartet, dass es nur noch gesunde Kinder gibt. Der Verlust der Solidarität und des Versicherungsschutzes droht.

Und wer nicht mitmacht, wird schräg angeschaut?
Gutzwiller:
Die Erfahrung spricht dagegen. Es wird immer Behinderte geben. Behinderte sind in der Gesellschaft akzeptiert und werden es auch in Zukunft bleiben.

Mit der PID will man vor allem auch unfruchtbaren Paaren mit der Selektion der besten Embryonen den Kinderwunsch möglichst erfüllen. Das ist besonders umstritten.
Gutzwiller:
Wählt man einen entwicklungsfähigen Emybro aus, erhöht sich die Chance auf ein Kind. Der Kinderwunsch ist für viele Paare ein zentrales Thema. Es ist doch ein legitimes Anliegen, unfruchtbaren Paaren dabei zu helfen.
Lohr: Was Sie den Leuten versprechen, ist eine Illusion, Herr Gutzwiller. Die PID ist keine Garantie für ein Kind und schon gar keine Garantie für ein gesundes Kind.
Gutzwiller: Mit der PID kann man den betroffenen Paaren zwar nicht mit Sicherheit, aber mit ­einer viel höheren Wahrscheinlichkeit helfen.

Bei einem Ja zum Verfassungsartikel wollen die PID-Gegner trotzdem das Referendum gegen das bereits bestehende Ausführungsgesetz ergreifen. Warum dieses Trötzeln, Herr Lohr?
Lohr:
Wir haben unser Vorgehen stets transparent gemacht und nehmen unser demokratisches Recht wahr. Das hat mit Trötzeln nichts zu tun. Das spezifische Gesetz ist eine andere Ebene.

Der Abstimmungsausgang ist gemäss Umfragen noch offen. Was aber passiert bei einem Nein?
Gutzwiller:
Die PID ist ausser in Litauen und im Vatikan in ganz Europa zulässig. Bleibt sie in der Schweiz verboten, sind die Betroffenen weiterhin gezwungen, ins Ausland zu reisen. In einigen Jahren werden wir uns deshalb wieder mit der Frage befassen müssen.

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