Streit um Krippen-Vergleich eskaliert – Verdingkind fassungslos
«Jetzt verklage ich Frau Herzog!»

Angebote der Frühförderung erinnerten sie an das Gedankengut, «mit dem Verdingkinder zur besseren Erziehung weggegeben wurden»: Verena Herzog sorgt mit diesem Vergleich für viel Schmerz bei Betroffenen. Dies soll nun rechtliche Konsequenzen haben.
Publiziert: 19.07.2019 um 01:27 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2019 um 12:26 Uhr
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Konservative Werte: Verena Herzog will gegen eine «schleichende Verstaatlichung» im Bildungswesen ankämpfen – und verhöhnt die Opfer der administrativen Versorgung.
Foto: Keystone
Cinzia Venafro

Unrechtsbewusstsein? Selbstkritik? Nein, das kennt SVP-Nationalrätin Verena Herzog (63) nicht. Nachdem die Nationalrätin in der parteieigenen Zeitung «Klartext» Krippen-Kinder mit den Opfern der administrativen Versorgung  – den Verdingkindern – gleich setzte, doppelte die Thurgauerin gestern im BLICK-Interview nach. 

Kein Wort der Entschuldigung kam Verena Herzog über die Lippen. Stattdessen behauptet die dreifache Mutter, die externe Kinderbetreuung stünde in der Schweiz kurz davor, für alle obligatorisch zu werden. «Kindergärten waren zu Beginn auch freiwillig und wurden dann verpflichtend. Dasselbe wäre für die Frühförderung fatal», so Herzog, die notabene einst das Kindergärtnerinnen-Seminar besuchte und als junge Frau als Kindergärtnerin arbeitete.

An die Adresse arbeitender Mütter meint Herzog, sie verstünde es nur bei «finanzieller Notlage», wenn Mütter ihre Kinder während der ganzen Woche in die Krippe schicken. «Ich kann aber beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie eine Mutter freiwillig ihre kleinen Kinder gänzlich abgeben kann, um weiterhin Vollzeit zu arbeiten», so Herzog.

Als Robert Blaser (62), selbst Verdingkind und Präsident des Vereins Fremdplatziert, die Aussagen von SVP-Herzog im BLICK las, kam in ihm Wut und Trauer auf. «Diese Frau verdreht die Geschichte. Es ist ein Hohn für Tausende ehemalige Verdingkinder! Sie behauptet, unsere Mutter hätten uns wehrlose Kinder freiwillig abgegeben – und seien selbst Schuld daran. Dieses Interview ist eine doppelte Ohrfeige. Ich fasse es noch immer nicht, dass Frau Herzog derart gefühlskalt einfach weiter argumentiert. Sie soll doch einfach eingestehen, dass sie die Unwahrheit gesagt hat.»

Hier werde «auf dem Rücken der Verdingkinder» Wahlkampf betrieben, so Blaser, der rund 60 Betroffenen geholfen hat, vom Bund eine finanzielle Wiedergutmachung zu erhalten.

«Aber weil die SVP keine Steuergelder für die Kinderbetreuung ausgeben will, müssen wir Opfer jetzt nochmals für diesen billigen Populismus herhalten. Frau Herzog und die ganze SVP sollten sich dafür schämen.»

Blaser will aber nicht nur die Faust im Sack machen: «Jetzt verklage ich Frau Herzog auf Verleumdung. Es darf nicht ungesühnt bleiben, wenn eine Politikerin solche Unwahrheiten behauptet und Tausende beleidigt und verletzt.»

Beim Verein Fremdplatziert läuft seit Herzogs Vergleich das Telefon heiss. Dutzende einstige Verdingkinder würden ihren Unmut kundtun, sagt Blaser. Auch die SVP-Bildungspolitikerin selbst wird mit E-Mails überhäuft. «Anhand der Antworten, die Frau Herzog unseren Vereinsmitgliedern schickt, erkennt man ihr fehlendes Unrechtsbewusstsein», so Blaser.

BLICK liegt der E-Mail-Verkehr einzelner Betroffener vor und weiss: Die Tonalität des Schreibens zeugt nicht von Selbstkritik. Vielmehr wirft Verena Herzog ehemaligen Verdingkindern vor: «Sie haben nicht begriffen, was ich sagen will.» Und weiter: «Ich verstehe Herrn A.* wirklich nicht. Er scheint bis heute nicht wirklich begriffen zu haben, was ihm widerfahren ist. Ich kann nur staunen und den Kopf schütteln.»

Der umstrittene Vergleich von Kinderkrippen und Verdingkindern – und Herzogs Kampagne gegen staatlich finanzierte Kinderbetreuung – sorgt auch in sonst ganz unpolitischen Gefilden für Unmut. So reagierte der ehemalige Fussballer Beni Huggel (42) auf das BLICK-Interview mit Verena Herzog ungewöhnlich pointiert für einen Schweizer Sportler: «Solange wir in der Schweiz nicht begreifen, dass staatliche Krippen die beste Möglichkeit wären, um die gut ausgebildeten Frauen in den Jobs zu halten, werden wir ewigen Fachkräftemangel haben. Punkt!», twittert der ehemalige Nati-Star und vermerkt seinen Tweet mit dem Hashtag #einmalprojahrpolitisch.

* Name der Redaktion bekannt

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