Letztlich war es eine klare Sache: Mit 148 zu 38 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschloss die grosse Kammer wie bereits im letzten Herbst bei der Beratung über die Harmonisierung der Strafrahmen, die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr aus dem revidierten Strassenverkehrsgesetz (SVG) zu streichen. Neu können auch Geldstrafen ausgesprochen werden.
Knapp wurde es dagegen bei der neuen Mindestdauer für einen Entzug des Führerausweises. Der Rat entschied sich schliesslich mit 94 zu 92 Stimmen bei 2 Enthaltungen ganz knapp gegen eine Senkung von 24 auf 6 Monate, wie dies die Verkehrskommission des Nationalrats (KVF-N) beantragt hatte. Immerhin beschloss er eine Halbierung auf 12 Monate und folgte damit dem Bundesrat.
Widerstand vor allem bei den Grünen
Die ganze Revision hiess er nach vierstündiger Debatte in der Gesamtabstimmung am Mittwoch mit 156 zu 28 Stimmen gut. Die Nein-Stimmen kamen vor allem von den Grünen. Die Vorlage geht nun in den Ständerat.
Kritiker monieren schon länger, der Gesetzgeber nehme den Richtern mit dem starren Automatismus beim Raserstrafmass jeglichen Beurteilungsspielraum. Auf Geheiss des Parlamentes schlug der Bundesrat vor, den 2013 im Rahmen des Verkehrssicherheitspaketes «Via sicura» eingeführten Raserartikel zu entschärfen. Geschaffen worden war dieser, um Tempo-Exzesse auf den Strassen härter zu bestrafen.
Eintreten auf die Revisionsvorlage war im Nationalrat unbestritten. Am meisten Widerstand gegen das Paket kam von den Grünen. Die vorliegende Revision «zieht dem Raserartikel die Zähne», sagte Marionna Schlatter (Grüne/ZH). Die Vorlage sei eine «Machtdemonstration der Autolobby ohne Rücksicht auf Tote und Verletzte».
Die Gerichte hätten heute schon einen Ermessensspielraum mit einem Strafrahmen von einem bis vier Jahren Freiheitsstrafe, wandte sich Michael Töngi (Grüne/LU) erfolglos gegen die Abschaffung der Mindestfreiheitsstrafe. Es sei vollkommen falsch, «Via sicura» mit den vorgesehenen Massnahmen abzuschwächen. Es stürben immer noch zu viele Menschen auf den Strassen.
«Nicht jeder, der zu schnell fährt, ist ein Raser»
Kommissionspräsident Philipp Matthias Bregy (Mitte/VS) begründete die Anpassungen damit, dass mit «Via sicura» über das Ziel hinausgeschossen worden sei. Diese Fehlanreize gehörten wieder abgeschafft. «Nicht jeder, der zu schnell fährt, ist ein Raser.»
Die Reduktion der Mindestdauer für den Führerausweisentzug sei unnötig und fahrlässig, sagte Jon Pult (SP/GR). Es gehe seiner Fraktion nicht darum, die Raser zu schützen, diese sollten bestraft werden, entgegnete Thomas Hurter (SVP/SH). Wie in jedem anderen Rechtsbereich müsse es aber auch hier mehr Ermessensspielraum geben.
Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga mahnte den Rat, nicht nach drei Monaten das Gesetz schon wieder zu ändern und wandte sich ebenfalls gegen Töngis Antrag. Zur Frist für den Ausweisentzug fand sie jedoch klare Worte. Raser verletzten elementare Verkehrsregeln «krass und vorsätzlich». Ein Mindestentzug des Fahrausweises von 12 Monaten sei deshalb «absolut angemessen».
Weniger streng beurteilt werden soll auch, wenn Blaulichtfahrer viel schneller fahren als erlaubt. Gemäss Vorschlag der Kommission soll für die Strafbarkeit lediglich die Differenz zur Geschwindigkeit herangezogen werden, die für den Einsatz angemessen gewesen wäre. Diesem Vorschlag folgte der Nationalrat mit 112 zu 73 Stimmen bei 3 Enthaltungen.
Blaulichtfahrer wollen weniger hart angefasst werden
Sommaruga räumte ein, dass es «pressiert, wenn es brennt». Aber es seien halt doch schon Fahrer wegen unzulässigen Tempo-Überschreitungen verurteilt worden. Rasergeschwindigkeiten müssten auch mit Blaulicht tabu bleiben. Die Gerichte sollen eine Strafe jedoch immer mildern bei unzulässigen Geschwindigkeitsüberschreitungen.
Weiter enthält die Revision Bestimmungen zum automatisierten Fahren und zur Förderung umweltfreundlicher Technologien. Dagegen gab es im Nationalrat keinen namhaften Widerstand. Keine Chance hatten Anträge der Grünen, die im Bereich des automatisierten Fahrens Auflagen einbauen wollten, weil die Technik noch nicht sicher sei. Die Sprecher von SVP und Mitte wehrten sich allerdings gegen «Denk- und Technologieverbote» in diesem Bereich.
Sommaruga sagte dazu, die bisherigen Versuche zeigten, dass die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt werde. «Der Matteschnägg in Bern wäre sonst nie aus seinem Schneckenhaus herausgekommen», meinte sie zu einem entsprechen Versuch mit einem selbstfahrenden Bus unter realen Bedingungen in Bern.
Velohelmpflicht für 12- bis 16-Jährige gestrichen
Gegen den Willen des Bundesrates strich der Nationalrat die Velohelmpflicht für 12- bis 16-Jährige aus der Vorlage. Sommaruga kündigte aber an, im Ständerat noch einmal für diese Massnahme zu kämpfen. Ebenfalls nicht mehr aufgeführt ist das Verbot von öffentlichen Rundstreckenrennen in der Schweiz.
Auch Alkoholwegfahrsperren und die Strafandrohung für öffentliche Warnungen vor behördlichen Kontrollen im Strassenverkehr strich der Nationalrat aus dem Gesetz. Und künftig sollen motorisierte und nicht motorisierte Zweiräder auf dem Trottoir abgestellt werden dürfen, sofern für Fussgänger mindestens 1,5 Meter Platz frei bleibt. (SDA)