Der Antragsteller wurde 1990 geboren und wohnt heute in Zürich. Er stammt aus einem kleinen Dorf, leistete 2012 seinen Militärdienst und lernte dabei seinen Freund kennen. Anschliessend zog er in die Stadt Bandar Abbas, wo er eine Arbeitsstelle fand.
Im Juli 2017 wurde der junge Mann zusammen mit seinem Freund bei einer geheimen Zeremonie fotografiert. Einige Monate später stürmten Familienmitglieder, die von den Fotos erfahren hatten, seine Arbeitsstelle, beschimpften und schlugen ihn. Sie versuchten auch, ihn gewaltsam mitzunehmen. Da er um sein Leben fürchtete, flüchtete er in die Türkei.
Der Iraner beantragte im März 2019 Asyl in der Schweiz. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hielt seine Schilderung nicht für glaubwürdig und lehnte seinen Antrag ab. Diesen Entscheid bestätigte das Bundesverwaltungsgericht.
Daraufhin wandte sich der Asylsuchende an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und verlangte, dass seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, die ihm einen vorläufigen Aufenthalt in der Schweiz ermöglicht.
Beschwerdeführer sei «unmenschlicher Behandlung» ausgesetzt
Das Gericht in Strassburg kam in seinem am Dienstag veröffentlichten Urteil zum Schluss , dass der Beschwerdeführer durch die Wegweisungsverfügung einer unmenschlichen Behandlung durch seine Familie, Dritte oder sogar durch den iranischen Staat ausgesetzt ist. Das Verbot einer solchen Behandlung in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention würde damit verletzt.
Die Feststellung der Verletzung sei an sich schon eine ausreichende gerechte Genugtuung für den Schaden, den der Beschwerdeführer erlitten habe, so der EGMR. Die Schweiz wird verurteilt, ihm 7000 Euro für seine Kosten zu zahlen.
Konkret betonten die Strassburger Richter, dass die Schweiz die Homosexualität des Beschwerdeführers nicht bestreite. Das Bundesverwaltungsgericht war jedoch der Ansicht, dass der Betroffene problemlos in sein Land zurückkehren und seine sexuelle Orientierung diskret ausleben könne.
Gegen diese Auslegung sprechen nach Ansicht des EGMR mehrere Elemente. Zum einen ist Homosexualität nach iranischem Recht immer noch ein Verbrechen, das streng bestraft wird. Zum andern kann die sexuelle Orientierung auch von Akteuren sanktioniert werden, die auf eigene Initiative handeln.
Nicht in Frage stellten die Strassburger Richter, wie die Schweizer Justiz die vom Beschwerdeführer behaupteten Auseinandersetzung mit der Familie bewertete. Die Schweizer Behörden, die ihn angehört haben, seien besser in der Lage, seine Glaubwürdigkeit zu beurteilen, heisst es im Urteil.
Das Gericht betont jedoch, dass Verfolgung auch von Dritten ausgehen könne. So berichten die jüngsten Berichte über die Situation von LGBTI-Personen von einer weit verbreiteten Homophobie und Diskriminierung nach Jahren des von staatlichen Akteuren geschürten Hasses.
Vor diesem Hintergrund hätte die Schweiz die Frage prüfen müssen, ob die iranischen Behörden dem Beschwerdeführer Schutz vor diesen Handlungen gewähren könnten, urteilten die Strassburger Richter. Internationale Quellen deuteten jedoch darauf hin, dass diese Behörden nichts in dieser Richtung unternehmen.
Daraus folge, dass die Schweizer Justiz das Risiko einer Misshandlung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückführung in sein Land nicht ausreichend beurteilt habe. Eine Rückführung ohne erneute Prüfung dieser Risiken würde einen Verstoss gegen die Menschenrechtskonvention darstellen.