BLICK: Herr Vogt, der Gerichtshof in Strassburg hat gleich zwei Mal in Ihrem Sinn entschieden und stützt die schweizerische Rechtsprechung. Zufrieden?
Hans-Ueli Vogt: Ja, ich halte die Urteile für richtig. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung ging ich davon aus, dass der Gerichtshof das Bundesgericht in Sachen Schwimmunterricht stützen wird. Die Richter in Strassburg haben bereits beim französischen Burkaverbot betont, dass die Staaten in solchen Fragen eine gewisse Freiheit haben sollen. Ich habe mit dem EGMR auch nicht per se ein Problem, er entscheidet oft richtig. Manchmal sogar gegen das Bundesgericht.
Geben Sie es zu: Sie hofften aus politischen Gründen, dass die Entscheide anders ausfallen. Das hätte Ihrer Selbstbestimmungsinitiative geholfen.
Mein Wesen ist komplexer, als dass ich einfach auf Urteile hoffe, die meinen politischen Zielen dienen. Der Gerichtshof hält im Schwimmunterricht-Urteil fest, dass Sozialisierung und Integration wichtiger sind als ein kleiner Eingriff in die Religionsfreiheit. Politisch zeigt das Urteil, dass es den Gerichtshof gar nicht gebraucht hätte. Die Schweizer Gerichte können die Grenzen der Religionsfreiheit selbst definieren.
Der Fall wurde ausgiebig diskutiert – mit dem Entscheid haben die «fremden Richter» Ihre Initiative ausgebremst.
Nein. Solche Einzelfälle des Gerichtshofs stehen nicht im Vordergrund. Unsere Initiative geht viel weiter und ist viel grundlegender. Konkret geht es etwa um die Masseneinwanderungs-Initiative. Hier hat sich das Parlament wegen eines Vertrags mit der EU über unsere eigene Verfassung hinweggesetzt. Spannend wäre auch, was der Gerichtshof zum Minarettverbot in der Bundesverfassung sagen würde. Das Argument, dass Kinder integriert werden müssen, existiert da nicht. Der Gerichtshof betont im Schwimmunterricht-Urteil auch, wie wichtig religiöse Vielfalt sei. Mit diesem Argument wird sich das Minarettverbot nur schwer aufrechterhalten lassen. Umso wichtiger ist darum die Selbstbestimmungsinitiative.
Im Initiativtext heisst es, dass völkerrechtliche Verträge gekündigt werden müssen, wenn sie unserem Recht widersprechen. Falls die Mädchen den Schwimmunterricht hätten schwänzen dürfen: Hätte die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen müssen?
Nein, da handelt es sich um einen Einzelentscheid. Es wäre unverhältnismässig, deswegen die EMRK zu kündigen. Im Initiativtext heisst es, die völkerrechtlichen Verträge seien «nötigenfalls» zu kündigen. Wir würden nach einem Ja zur Selbstbestimmungsinitiative ein Urteil, das unserer Verfassung widerspricht, einfach nicht umsetzen. Andere Staaten machten das teilweise auch so. Gekündigt hat die EMRK deswegen noch keiner.
Wie wollen Sie den Stimmbürgern anhand konkreter Beispiele aufzeigen, dass es Ihr Volksbegehren braucht?
Der Gerichtshof in Strassburg war nie unsere primäre Zielscheibe, es geht um viel mehr. Der Auslöser der Initiative war, dass unsere eigenen Bundesrichter gesagt haben, dass das Parlament die Ausschaffungsinitiative wegen internationalem Recht nicht eins zu eins umsetzen dürfe. Mit der Initiative wollen wir erreichen, dass Volksentscheide wieder umgesetzt werden. Die Initiative wird eine grosse Debatte auslösen. Ich freue mich darauf.
Herr Vogt, Sie haben die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative erwähnt. Nun gibt es bereits ein Gesetz dazu. Ein Ja zu Ihrer Initiative ändert nichts mehr daran.
Doch. Wenn wir die Rasa-Initiative mal ausblenden, bleibt die Situation, dass mit dem Gesetz die Verfassung nicht umgesetzt wird. Ein Ja zur Selbstbestimmungsinitiative wäre ein klarer Auftrag ans Parlament, das Gesetz zu überarbeiten, und zwar so, wie es in der Verfassung steht.
Gestern war ein schwarzer Tag für all jene, die über das Joch von fremden Richtern lamentieren. In gleich zwei Fällen hat der europäische Menschenrechts-Gerichtshof nämlich zugunsten des Schweizervolks entschieden.
Einerseits hat er bestätigt, dass Schulunterricht und Integration in gewissen Fällen der Religionsfreiheit vorgehen. Oder einfacher: Wenn die Behörden korrekte Grundlagen und Vorkehrungen schaffen, müssen auch muslimische Mädchen zum Schwimmunterricht – das gilt jetzt für ganz Europa.
Andererseits haben die Menschenrechtsrichter die Schweizer Haltung bestätigt, dass selbst hier aufgewachsene Ausländer wegen schwerer Raserdelikte aus der Schweiz ausgewiesen werden dürfen.
Diese Beispiele belegen zwei Dinge: Wenn Politik und Verwaltung ihre Jobs richtig machen, werden sie auch von den Richtern in Strassburg gestützt. Und: So fremd sind uns unsere Menschenrechtsrichter gar nicht.
Matthias Halbeis, Co-Leitung Politik
matthias.halbeis@ringier.ch
Gestern war ein schwarzer Tag für all jene, die über das Joch von fremden Richtern lamentieren. In gleich zwei Fällen hat der europäische Menschenrechts-Gerichtshof nämlich zugunsten des Schweizervolks entschieden.
Einerseits hat er bestätigt, dass Schulunterricht und Integration in gewissen Fällen der Religionsfreiheit vorgehen. Oder einfacher: Wenn die Behörden korrekte Grundlagen und Vorkehrungen schaffen, müssen auch muslimische Mädchen zum Schwimmunterricht – das gilt jetzt für ganz Europa.
Andererseits haben die Menschenrechtsrichter die Schweizer Haltung bestätigt, dass selbst hier aufgewachsene Ausländer wegen schwerer Raserdelikte aus der Schweiz ausgewiesen werden dürfen.
Diese Beispiele belegen zwei Dinge: Wenn Politik und Verwaltung ihre Jobs richtig machen, werden sie auch von den Richtern in Strassburg gestützt. Und: So fremd sind uns unsere Menschenrechtsrichter gar nicht.
Matthias Halbeis, Co-Leitung Politik
matthias.halbeis@ringier.ch