«Das ist keine Wertschätzung gegenüber der Natur!»
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Urs Tester ist empört:«Das ist keine Wertschätzung gegenüber der Natur!»

Ständerat will in Biotopen Strom produzieren, Urs Tester (62) von Pro Natura zeigt im Wetziker Riet die Folgen
«Wir opfern unsere wenigen Naturperlen»

Ständeräte wollen auch in Schutzgebieten Strom produzieren. Blick war mit Urs Tester von Pro Natura im Wetziker Riet. Er warnt vor der Aufgabe des Landschaftsschutzes.
Publiziert: 22.09.2022 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2022 um 06:44 Uhr
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Urs Tester von Pro Natura fände es verheerend, wenn in geschützten Biotopen Solar- und Windanlagen gebaut würden.
Foto: Rebecca Spring
Sara Belgeri

Urs Tester (62) steht inmitten des Wetziker Riets, ein Biotop von nationaler Bedeutung. Wo sich früher Gletscherzungen ihren Weg bahnten, befindet sich heute ein Flachmoor. Tester, Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Natura, zerreibt ein Blatt zwischen seinen Fingern. Wasserminze, eine Pflanze, die hier typischerweise vorkommt. Auf dem feuchten und weichen Boden gedeihen auch Sauergräser und Schilfhalme. Von diesen sind wiederum Heuschrecken und Schmetterlinge abhängig.

Im mehr als 100 Kilometer entfernten Bundeshaus lautet das Motto der Stunde nicht Naturschutz, sondern Energiesicherheit. Solar-, Wind- und Wasserkraftwerke sollen her. Und zwar so schnell wie möglich, findet die Energiekommission des Ständerats. Den Preis dafür soll die Natur zahlen. Ginge es nach der Kommission, sollen nämlich auch in geschützten Biotopen Anlagen zur Produktion von erneuerbaren Energien gebaut werden. Der sogenannte Mantelerlass, der das regeln soll, wird am Donnerstag im Ständerat behandelt.

«Die Natur wird nicht wertgeschätzt»

Diese Aussichten bringen Tester in Rage. «Die Natur wird nicht wertgeschätzt», sagt der gross gewachsene Mann mit Basler Dialekt. Der Biologe arbeitet seit über 30 Jahren für die Naturschutzorganisation. Sein Fachgebiet: Biotope und Arten.

Biotope von nationaler Bedeutung machen zwei Prozent der Schweizer Landesfläche aus. Zu ihnen zählen etwa das Val Roseg in Graubünden oder das Verzascatal im Tessin. In diesen Gebieten zu bauen, war bislang verboten. Denn in Biotopen leben viele seltene Tier- und Pflanzenarten.

Flachmoore beherbergen aber nicht nur Tiere und Pflanzen, sie spielen auch für die Bekämpfung des Klimawandels eine wichtige Rolle. Denn: Der Boden speichert viel CO2. Wird er zerstört, zum Beispiel durch Trockenlegung, gelangt der Kohlenstoff in die Atmosphäre. Das ist wiederum schlecht fürs Klima. Moorböden sind zudem hervorragende Wasserspeicher. Das ist in Trockenzeiten von Vorteil, denn dann geben Flachmoore das Wasser wieder an die umliegende Landschaft ab.

Nur wenige Biotope übrig

«Das ist keine Wertschätzung gegenüber der Natur!»
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Urs Tester ist empört:«Das ist keine Wertschätzung gegenüber der Natur!»

Das Wetziker Riet ist ein Biotop. Umschlossen wird es von Gleisen, auf denen die S-Bahn zwischen Wetzikon und Hinwil hin- und herrattert, und einem Streifen Wald. Für Tester steht dieser beschränkte Platz sinnbildlich für den Rückgang natürlicher Biotope. «Eigentlich wären Flachmoore im Kanton Zürich weitverbreitet, mittlerweile gibt es davon aber nur noch wenige», sagt er. Viele hat der Mensch für die Nutzung umgestaltet.

Dass in Gebieten wie diesem bald Windturbinen oder Solarpanels stehen sollen, kann Biologe Tester nicht verstehen: «Man muss unsere wenigen Naturperlen nicht für die Energiewende opfern.» Es gäbe genug andere und grössere Flächen, die man für die Energiegewinnung nutzen könnte, zum Beispiel Häuserdächer, sagt er.

Bis jetzt sind Tester zwar noch keine konkreten Bauprojekte in Biotopen bekannt. Aber er ist sich sicher: Sollten die Pläne der Ständeratskommission Realität werden, wäre es schwierig, die Natur zu erhalten.

Es dürfte Korrekturen geben

Im bürgerlich dominierten Ständerat dürfte die Lockerung des Landschaftsschutzes gute Chancen haben. Der Nationalrat wird aber sicher «Korrekturen anbringen», wie es ein Umweltpolitiker ausdrückt. Links-Grün ist dort stärker und mehrheitlich der gleichen Meinung wie Tester. Ob es reicht, hängt von Mitte und GLP ab. Deren Co-Generalsekretär Ahmet Kut sagt: «Vor allem beim Heimat-, Ortsbild- oder Landschaftsschutz wären wir bereit, Abstriche zu machen.» In Landschaften von nationaler Bedeutung wie dem Wetziker Riet wollen aber auch die Grünliberalen keine Anlagen sehen.

Bei der Mitte dürfte es schwieriger werden, Gegnerinnen und Gegner zu finden. Laut deren Mediensprecher Thomas Hofstetter stösst die Vorlage in der Partei auf Zustimmung. «Für den Notfall brauchen wir eine Gesetzesgrundlage, um Anlagen zu bauen.» Man gehe jedoch nicht davon aus, dass dies in geschützten Gebieten gleich geschehen werde.

Es dürfte im Nationalrat knapp werden.

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