Soll der Bund eigenständig Sanktionen gegen Staaten und Personen beschliessen, die Menschenrechte verletzen oder Völkerrecht brechen? Ja, befand der Nationalrat im Juni. Unter dem Eindruck des russischen Krieges gegen die Ukraine erreichte Mitte-links eine Verschärfung des Embargogesetzes. Eine Revision, die die Schweizer Aussenpolitik auf Jahre hinaus prägen könnte.
Ob der Ständerat in der Herbstsession mitzieht, ist jedoch fraglich. Die Aussenpolitische Kommission (APK) gleist das Geschäft kommende Woche auf. Die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) des Ständerats hat die Vorschläge des Nationalrats unterdessen einstimmig verworfen. In einem Mitbericht an die Kollegen der Aussenpolitischen Kommission, der SonntagsBlick vorliegt, warnt die SiK nun eindringlich vor der Stossrichtung der grossen Kammer. Die geltende Sanktionspolitik, wonach der Bund nicht in Eigenregie Sanktionen verhängt, sich aber internationalen Massnahmen anschliessen kann, habe sich bewährt: «Die Möglichkeit aber, eigenständige Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die an schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte beteiligt sind, käme nach Meinung der Kommission einem drastischen Wechsel in der Schweizer Sanktionspolitik gleich, wäre in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Neutralität äusserst problematisch und würde ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz darstellen.»
Laut SiK laufe das Land Gefahr, auf äusseren Druck Sanktionen zu übernehmen, die sie eigentlich gar nicht ergreifen möchte. «Heute ist es dagegen einfach, damit zu argumentieren, dass die Schweiz nicht über die entsprechende gesetzliche Grundlage verfügt», so die Sicherheitspolitiker des Ständerats.
Die Kommission sei der Auffassung, «dass solche Sanktionen der Bestimmung zufolge de facto nur gegen Personen oder Einrichtungen verhängt werden können, die von einem Gericht verurteilt worden sind.» Diese Auslegung würde den Handlungsspielraum des Bundes massiv einschränken.
Und das ist der Kern der Auseinandersetzung. Während das Parlament um Neuausrichtung der Neutralität ringt, steht der Entscheid über Sanktionen gegen China noch immer aus.
Systematische Menschenrechtsverletzungen
Diese Woche publizierte die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet kurz vor ihrem Rücktritt einen Bericht über systematische Menschenrechtsverletzungen an der uigurischen Minderheit in der Provinz Xinjiang. Sie berichtet von willkürlichen Festnahmen, einem perfiden, engmaschigen Überwachungssystem, von Folter und sexueller Gewalt.
Die SP, die seit längerem verlangt, dass sich die Schweiz den europäischen Strafmassnahmen gegen Peking anschliesst, sieht sich bestätigt. «Die Kritiker im Ständerat haben ein veraltetes Verständnis von Neutralität», sagt Nationalrat Fabian Molina (32, ZH). «Der Bundesrat könnte heute bereits die EU-Sanktionen gegen chinesische Beamte übernehmen. Bloss tut er dies nicht.»
Zugleich belange die Schweiz keine russischen Funktionäre, die nicht schon heute von Brüssel mit Massnahmen belegt worden sind. Molina: «Dieses Loch muss gestopft werden.»