Hektik im Bundeshaus, bei Parteispitzen und im Bundesrat: Ausgerechnet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) stellt die Notwendigkeit der Personenfreizügigkeit infrage. Fürs Seco ist unklar, ob der Wegfall der Freizügigkeit wirklich schlecht wäre für die Schweiz.
«Das ist ein gottverdammter Skandal!», ereifert sich ein Parteifunktionär, den BLICK mit der Stellungnahme des Seco konfrontierte. «Gut, das Wirtschaftsdepartement ist jetzt in SVP-Hand, aber dass das Staatssekretariat wider besseren Wissens solchen Stuss verkündet, der unserer Wirtschaft und dem gesamten Land schadet, ist unverantwortlich.» Mit den Kraftausdrücken will er aber nicht zitiert werden.
Chefs stehen hin
Wichtige Parteichefs stehen aber hin: SP-Präsident Christian Levrat (48) und FDP-Chefin Petra Gössi (43) sind sich für einmal einig, dass der neue Wirtschaftsminister Guy Parmelin (59) der Schuldige ist.
Doch der Reihe nach: Der Bundesrat entscheidet heute nicht nur über das Rahmenabkommen. Er nimmt auch Stellung zur Begrenzungs-Initiative der SVP. Justizministerin Karin Keller-Sutter (55) beantragt dem Bundesrat, die Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit dem Volk mit der Empfehlung zu unterbreiten, sie abzulehnen.
Keller-Sutter hatte - wie das üblich ist - den Entwurf des Neins zur sogenannten SVP-Kündigungs-Initiative zur Konsultation vorgelegt. Und dann der Hammer: Das Seco zweifelt in seiner Stellungnahme am Nutzen des Freizügigkeitsabkommens (FZA).
So steht es in Keller-Sutters Antrag, in den BLICK Einblick hatte: Es würden Differenzen mit dem Generalsekretariat des Wirtschaftsdepartements und mit dem Seco verbleiben. Wörtlich: «Uneinigkeit besteht insbesondere bei der Frage, ob ein Wegfall des FZAs sowie der übrigen Abkommen der Bilateralen I und die Einführung eines restriktiven Zulassungssystems auch für Arbeitskräfte aus den EU/Efta-Staaten für die Schweiz negative wirtschaftliche Konsequenzen hätten.»
Das heisst konkret: Die Wirtschaft würde nicht zwingend leiden, wenn die Schweiz die Personenfreizügigkeit kündigen und wieder Einwanderungskontingente einführen würde.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist der ökonomische Herzschrittmacher des Bundes. Unter der Leitung von Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch (57) sorgt es dafür, dass die Schweizer Wirtschaft nicht aus dem Takt gerät.
Das Seco öffnet Schweizer Gütern, Dienstleistungen und Investitionen die Türen zu möglichst allen Weltmärkten. Und es ist bemüht, Hürden für Unternehmen mit dem Abschluss von Freihandelsabkommen aus dem Weg zu räumen.
Gleichzeitig hat es eine Scharnierfunktion zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebern. Das Seco hilft mit, Betriebe unbürokratisch mit Fachkräften zu versorgen. Und es bekämpft Arbeitslosigkeit.
Zu den weiteren Aufgaben des Seco gehört es, die Folgen des Freizügigkeitsabkommens für die Schweizer Wirtschaft zu beobachten. In ihrem jährlichen Bericht hat die Bundesstelle bislang immer hervorgehoben, dass dank der Personenfreizügigkeit unsere Wirtschaft besonders hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland erhalte, die vergleichbar gute Löhne wie Schweizer Fachkräfte bekämen.
Das Fazit war stets: Unserer Wirtschaft geht es so gut, weil wir die Personenfreizügigkeit mit der EU haben. Weshalb das Seco bei den Gegnern des Abkommens auch als Personenfreizügigkeits-Fanklub verschrien ist.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist der ökonomische Herzschrittmacher des Bundes. Unter der Leitung von Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch (57) sorgt es dafür, dass die Schweizer Wirtschaft nicht aus dem Takt gerät.
Das Seco öffnet Schweizer Gütern, Dienstleistungen und Investitionen die Türen zu möglichst allen Weltmärkten. Und es ist bemüht, Hürden für Unternehmen mit dem Abschluss von Freihandelsabkommen aus dem Weg zu räumen.
Gleichzeitig hat es eine Scharnierfunktion zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebern. Das Seco hilft mit, Betriebe unbürokratisch mit Fachkräften zu versorgen. Und es bekämpft Arbeitslosigkeit.
Zu den weiteren Aufgaben des Seco gehört es, die Folgen des Freizügigkeitsabkommens für die Schweizer Wirtschaft zu beobachten. In ihrem jährlichen Bericht hat die Bundesstelle bislang immer hervorgehoben, dass dank der Personenfreizügigkeit unsere Wirtschaft besonders hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland erhalte, die vergleichbar gute Löhne wie Schweizer Fachkräfte bekämen.
Das Fazit war stets: Unserer Wirtschaft geht es so gut, weil wir die Personenfreizügigkeit mit der EU haben. Weshalb das Seco bei den Gegnern des Abkommens auch als Personenfreizügigkeits-Fanklub verschrien ist.
Seco im Widerspruch
Damit widerspricht das Seco sich selbst: Im Februar 2016 veröffentlichte es einen Bericht, wonach «ein Wegfall der Bilateralen I zu einem deutlich schwächeren Wirtschaftswachstum in der Schweiz führen würde». Das Bruttoinlandprodukt (BIP) würde ohne Bilaterale 2035 um 4,9 Prozent oder gar 7,1 Prozent tiefer ausfallen. Kumuliert über die Jahre bis 2035 entspreche dies einer BIP-Einbusse von 460 bis 630 Milliarden Franken. Zudem würde der Wegfall der Personenfreizügigkeit der Wirtschaft hohe Kosten bei der Suche nach Fachkräften verursachen.
Das soll jetzt nicht mehr stimmen? Beim Seco heisst es, zu Indiskretionen nehme man keine Stellung. Und weiter: Die Informationen des Staatssekretariats zur Personenfreizügigkeit «gelten nach wie vor». Die Diskrepanz zur Stellungnahme erklärt das Seco auch nicht, da es dadurch wiederum auf die Indiskretion eingehen würde.
Auch aus dem WBF kommt bloss: «No comment, wir kommentieren keine Indiskretionen.»
«Schwarze Garde Parmelins» hatte ihre Hand im Spiel
Für SP-Chef Levrat ist klar: «Die Stellungnahme trägt die Handschrift der schwarzen Garde Parmelins. Die Aufpasser, die Blocher dem Wirtschaftsminister zur Seite gestellt hat, haben ganze Arbeit geleistet.» Das sei pure SVP-Ideologie - «und wahrheitswidrig».
Er doppelt nach: «Und weil es derart falsch ist und allem widerspricht, was das Seco bislang zur Personenfreizügigkeit verlauten liess, bin ich überzeugt, dass nicht das Staatssekretariat für Wirtschaft der Ursprung dieser Stellungnahme ist. Sie stammt von denen, die die Freizügigkeit schon immer bodigen wollen.»
FDP-Gössi befürchtet wirtschaftlichen Schaden
Ähnlich klingt es bei der Freisinnigen Gössi: «Es ist skandalös, dass die Departementsspitze die Ämterkonsultation missbraucht, um das Seco das Gegenteil von dem verbreiten zu lassen, was es seit Jahren gesagt hat.» Das schade der Wirtschaft.
In der Bundesverwaltung erklären sich die Aktion einige damit, dass die neue Leitung des Wirtschaftsdepartements Mühe bekunde mit der vorbehaltlosen Haltung des Secos zur Personenfreizügigkeit. Darum habe man den Lead übernommen.
Dennoch: Wenn ein Bundesrat unzufrieden ist mit dem Vorhaben eines anderen Bundesrats, verfasst er für gewöhnlich einen Mitbericht, in dem er seine Bedenken äussert. Parmelin hat laut BLICK-Informationen aber keinen Mitbericht verfasst. Lieber lässt die Spitze des Wirtschaftsdepartements das Seco sich selbst widersprechen.
Die Spatzen pfeifen es von den Berner Dächern: Heute wird der Bundesrat bekannt geben, wie er zum Rahmenabkommen mit der EU steht. Dieses soll den bilateralen Weg sichern. Und die Singvögel ahnen auch die Antwort. Erwartet wird, dass die Landesregierung das Abkommen prinzipiell befürwortet. Allerdings nicht so, wie es auf dem Tisch liegt.
Konkret habe der Bundesrat drei Vorbehalte zum vorliegenden Vertragstext: Er will erstens, dass die EU der Schweiz einen eigenständigen Lohnschutz zusichert. Derzeit findet die EU, dass bestimmte Schweizer Eigenheiten EU-Firmen diskriminieren würden.
Zweitens soll Brüssel garantieren, dass die Schweiz nicht zur Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie verpflichtet wird. Diese würde dazu führen, dass EU-Bürger in der Schweiz schneller als heute an Sozialhilfe gelangen könnten und kriminelle EU-Ausländer noch schwerer ausgeschafft werden könnten.
Drittens gibt es grosse Vorbehalte bei den staatlichen Beihilfen. Denn in der EU gilt: Subventionen und andere Vorteile sind unzulässig, wenn sie zu zwischenstaatlichen Wettbewerbsverzerrungen führen. Gefährdet sind etwa kantonale Steuervergünstigungen für Firmenansiedlungen und die staatliche Unterstützung der Wasserkraft.
Das würde bedeuten, dass der Bundesrat nochmals nach Brüssel reisen und diese Verbesserungen aushandeln will. Wie das gelingen soll, ist allerdings offen. Denn die EU schliesst Nachverhandlungen bis jetzt aus. Sermîn Faki
Die Spatzen pfeifen es von den Berner Dächern: Heute wird der Bundesrat bekannt geben, wie er zum Rahmenabkommen mit der EU steht. Dieses soll den bilateralen Weg sichern. Und die Singvögel ahnen auch die Antwort. Erwartet wird, dass die Landesregierung das Abkommen prinzipiell befürwortet. Allerdings nicht so, wie es auf dem Tisch liegt.
Konkret habe der Bundesrat drei Vorbehalte zum vorliegenden Vertragstext: Er will erstens, dass die EU der Schweiz einen eigenständigen Lohnschutz zusichert. Derzeit findet die EU, dass bestimmte Schweizer Eigenheiten EU-Firmen diskriminieren würden.
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Drittens gibt es grosse Vorbehalte bei den staatlichen Beihilfen. Denn in der EU gilt: Subventionen und andere Vorteile sind unzulässig, wenn sie zu zwischenstaatlichen Wettbewerbsverzerrungen führen. Gefährdet sind etwa kantonale Steuervergünstigungen für Firmenansiedlungen und die staatliche Unterstützung der Wasserkraft.
Das würde bedeuten, dass der Bundesrat nochmals nach Brüssel reisen und diese Verbesserungen aushandeln will. Wie das gelingen soll, ist allerdings offen. Denn die EU schliesst Nachverhandlungen bis jetzt aus. Sermîn Faki