Genau so hätte es sich Helmut Kohl wohl gewünscht. Noch einmal, ein letztes Mal, hat der Kanzler der Deutschen Einheit und Ehrenbürger Europas «seinen» Europäern den Weg aus weit verbreiteter Verunsicherung gewiesen. Aus dem misstrauisch beäugten Strassburger Trauerakt ist ein überraschender und so noch nie gewesener europäischer Gründungsakt geworden.
Mit der Verabschiedung Kohls werde «der Staffelstab der Verantwortung» der nächsten Generation übergeben, setzte sich Frankreichs junger Präsident Emmanuel Macron in seiner Trauerrede an die Spitze der neuen Bewegung von Europabegeisterten. Zusammen mit Angela Merkel will er das europäische Erbe Kohls gestalten: «Seine Vision eines gemeinsamen, friedlichen und sicheren europäischen Hauses bleibt das Ziel.»
Auf Kohl sei Verlass gewesen, sekundierte ihm Minuten später die Kanzlerin. Der Weltpolitiker sei auf die Menschen zugegangen. «Und nie verlor er dabei den Blick auf das Machbare und das Zumutbare.»
Etwa 800 Trauergäste aus aller Welt hatten sich im Plenarsaal des Strassburger Europaparlaments versammelt. Am mit der Europaflagge bedeckten Sarg des «überzeugten deutschen und europäischen Patrioten zugleich», so EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, war der ehemalige US-Präsident Bill Clinton ebenso wie Russlands Premierminister Dmitri Medwedew, Ungarns EU-kritischer Regierungschef Viktor Orbán, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, Israels Premierminister Benjamin Netanyahu und viele andere.
Eindrückliche Feier
Acht deutsche Offiziere amteten als Sargträger. Zuerst die von den meisten Anwesenden zumindest mitgesummte deutsche Nationalhymne, gefolgt von Beethovens Jubel-Ode an die Freude – eindrücklicher hätte die Regie den Trauerakt nicht planen können: Allein die Kraft der Bilder degradierte Europas Neo-Nationalisten und Rechtspopulisten zu wortlosen Statisten einer europäischen Sternstunde.
Denn natürlich ging es – immer zwischen den Zeilen – bei dem Trauerakt in Strassburg auch um die hohe Kunst der Politik. Nur vereint könnten die Europäer den Herausforderungen der neuen Zeit begegnen, mahnte Bill Clinton, ohne seinen rüpelhaft zerstörerischen Nachfolger Donald Trump beim Namen zu nennen.
Der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk erinnerte die nationalkonservative Regierung in Warschau an Lech Walesa und die Gewerkschaft Solidarnosc, die mit dem Danziger Hafenstreik von 1980 das Ende des Kalten Kriegs eingeläutet hatten. Und Russlands Premier Medwedew gab zu, dass der Kanzler der Einheit auch in Putins Reich immer noch als grosser Europäer bewundert werde: «Helmut Kohl war zweifellos ein Mann der Zukunft.»
Und so war es die Europabotschaft des Strassburger Trauerakts, deren Würde und Intensität bis in den Dom zu Speyer strahlte. Mit dem Auto war der tote Kanzler noch einmal durch seine Heimatstadt Ludwigshafen gefahren worden. Viele Menschen standen Spalier, auch längs der 20 Kilometer, auf denen der diesmal mit der deutschen Flagge geschmückte Sarg rheinabwärts nach Speyer gebracht wurde.
Und weil in der feierlichen Totenmesse dann auch noch Raum für versöhnliche Worte an die nicht zur Beerdigung gekommenen Söhne und Enkel des Kanzlers war, blieb Deutschland ein Abschied im Schatten eines hässlichen Familienstreits erspart.
Genau so hätte es sich Helmut Kohl wohl gewünscht.