Sprachstreit eskaliert
Kritik an Bersets Frühfranz-Zwang

Der SP-Bundesrat will die Kantone zum Frühfranzösisch zwingen. Die Reaktionen fallen überwiegend negativ aus.
Publiziert: 07.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:06 Uhr
Will Kantone dazu verpflichten, Frühfranzösisch einzuführen: Alain Berset.
Foto: Keystone
Christoph Lenz und Ruedi Studer

Alain Berset macht ernst im Sprachenstreit. Der SP-Innenminister präsentierte gestern eine Änderung des Sprachengesetzes, die die Kantone zwingt, schon auf der Primarstufe eine Landessprache als Fremdsprache zu unterrichten. Frühfranz wird also Pflicht. Grund: Der Bundesrat ist besorgt über den nationalen Zusammenhalt und die Verständigung zwischen den Sprachregionen.

Hintergrund des Sprachenstreits: Mit dem Harmos-Konkordat haben sich die kantonalen Erziehungsdirektoren darauf geeinigt, spätestens ab der fünften Klasse eine zweite Landessprache zu unterrichten. Inzwischen sind aber verschiedene Deutschschweizer Kantone daran, diesen Fremdsprachenkompromiss zu unterlaufen. Im Thurgau will der Regierungsrat das Frühfranzösisch aus dem Lehrplan streichen. «Franz» soll es ab 2017 erst in der siebten Klasse geben. 

«Berset führt ein emotionales Theater auf»

Im Thurgau war der Protest gestern denn auch besonders gross. «Ich sehe das Problem schlicht nicht. Berset führt ein emotionales Theater auf», sagte SVP-Frau Verena Herzog, die das Thurgauer Sprach-Sonderzüglein aufs Gleis gebracht hatte. Entscheidend sei nicht, wann der Französischunterricht beginne, sondern wie gut die Schüler am Ende der Volksschulzeit Französisch könnten. Herzog kündigt bereits an: «Kommt diese Bevormundungs-Vorlage durch, werde ich das Referendum dagegen unterstützen.»

Auch FDP-Politiker Fathi Derder (VD) wundert sich über das «Psychodrama, das einige Politiker aus der Romandie zur Sprachenfrage veranstalten». Er begrüsse zwar das Vorgehen des Bundesrats. «Allerdings kann die Pflege und Förderung der Vielsprachigkeit nur gemeinsam mit den Kantonen funktionieren», so Derder. Entscheidend sei, ob die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) den Kurs der Landesregierung mittrage. 

Dies ist jedoch fraglich. EDK-Präsident Christoph Eymann ist erstaunt über Bersets forsches Vorgehen. Der Bund könne erst intervenieren, wenn die Kantone das Harmonisierungsziel bei den Fremdsprachen nicht erreichten, sagt er. «Doch davon sind wir weit entfernt! 23 Kantone setzen die Sprachstrategie derzeit um, weitere dürften folgen. Es gibt aktuell keinen Anlass für eine Intervention des Bundes.»

Eymann befürchtet, dass es im Parlament und erst recht in einem allfälligen Abstimmungskampf zu einem «wüsten Streit» komme. «Zwischen jenen, die den Föderalismus hochhalten und sich vom Bundesvogt gegängelt sehen und jenen, die um den Zusammenhalt des Landes fürchten oder sich vernachlässigt fühlen.» Berset hätte dem Frieden zuliebe besser noch warten oder gleich ganz auf eine Intervention verzichtet sollen, findet Eymann.

Pro: Chapeau, Monsieur Berset!

Von Joël Widmer, Co-Leitung Ressort Politik

Der Föderalismus in Ehren, aber der Kantönligeist in Schulfragen nervt. So zum Beispiel bei den Fremdsprachen. Fast alle Kantone halten sich an einen Kompromiss. Die Thurgauer hingegen meinen, ihre Kinder würden Schaden nehmen, wenn sie in der Primarschule ein wenig Französisch sprechen. Der Kanton setzt nur auf Früh-Englisch.

Wer früh mit verschiedenen Sprachen in Kontakt kommt, lernt generell besser mit Sprachen umzugehen. Die Schweiz hat nun einmal mehrere Landessprachen und Englisch gehört nicht dazu. Die Vielsprachigkeit gehört zur Identität der Schweiz, das gilt auch für die Schule. Absurderweise kommt die internationalistische Englisch-Manie von der national-konservativen SVP. Solche Kantönli-Kindereien rufen förmlich nach «un peu de centralisme». Es tut also gut, wenn der Bundesrat den Thurgauern mal einen Schuss vor den Bug setzt.

Ringier Portraits

Von Joël Widmer, Co-Leitung Ressort Politik

Der Föderalismus in Ehren, aber der Kantönligeist in Schulfragen nervt. So zum Beispiel bei den Fremdsprachen. Fast alle Kantone halten sich an einen Kompromiss. Die Thurgauer hingegen meinen, ihre Kinder würden Schaden nehmen, wenn sie in der Primarschule ein wenig Französisch sprechen. Der Kanton setzt nur auf Früh-Englisch.

Wer früh mit verschiedenen Sprachen in Kontakt kommt, lernt generell besser mit Sprachen umzugehen. Die Schweiz hat nun einmal mehrere Landessprachen und Englisch gehört nicht dazu. Die Vielsprachigkeit gehört zur Identität der Schweiz, das gilt auch für die Schule. Absurderweise kommt die internationalistische Englisch-Manie von der national-konservativen SVP. Solche Kantönli-Kindereien rufen förmlich nach «un peu de centralisme». Es tut also gut, wenn der Bundesrat den Thurgauern mal einen Schuss vor den Bug setzt.

Kontra: C’est un scandale!

Von Christoph Lenz, Bundeshausredaktor

Frühfranzösisch? Ich kenne das. Zwei Jahre sangen wir «Frère Jacques» und «Le Coq est mort». Tolle Bildung! Gewiss, wer die Schule verlässt, sollte eine zweite Landessprache kennen. Doch Bersets Frühfranz-Zwang ist ideologisch, unwissenschaftlich und undemokratisch.

Erstens: Der Bundesrat fürchtet um den nationalen Zusammenhalt. S’il vous plaît! Frühfranzösisch gibt es erst seit 20 Jahren. Drohte die Schweiz davor, auseinanderzufallen? Eben. Zweitens: Pädagogische Studien beweisen, dass Kinder im Primarschulalter eine zweite Fremdsprache kaum aufnehmen können. Was macht der Bundesrat? Il s’en fout! Drittens: Die Bildung ist Sache der Kantone. Nun will Berset sie an die Kandare nehmen. Zwecks Rettung der Vielsprachigkeit. Dabei opfert er ein anderes Merkmal der Schweiz. Das konstruktive Miteinander.

Ringier Portraits

Von Christoph Lenz, Bundeshausredaktor

Frühfranzösisch? Ich kenne das. Zwei Jahre sangen wir «Frère Jacques» und «Le Coq est mort». Tolle Bildung! Gewiss, wer die Schule verlässt, sollte eine zweite Landessprache kennen. Doch Bersets Frühfranz-Zwang ist ideologisch, unwissenschaftlich und undemokratisch.

Erstens: Der Bundesrat fürchtet um den nationalen Zusammenhalt. S’il vous plaît! Frühfranzösisch gibt es erst seit 20 Jahren. Drohte die Schweiz davor, auseinanderzufallen? Eben. Zweitens: Pädagogische Studien beweisen, dass Kinder im Primarschulalter eine zweite Fremdsprache kaum aufnehmen können. Was macht der Bundesrat? Il s’en fout! Drittens: Die Bildung ist Sache der Kantone. Nun will Berset sie an die Kandare nehmen. Zwecks Rettung der Vielsprachigkeit. Dabei opfert er ein anderes Merkmal der Schweiz. Das konstruktive Miteinander.

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