SPD – eine Partei demontiert sich selbst
Reine Lehre, grosse Leere

Die deutschen Sozialdemokraten befinden sich in einer existenziellen Krise. Ein neues Führungs-Duo soll den Weg aus der Krise finden. Die Chancen stehen schlecht.
Publiziert: 07.12.2019 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 08.12.2019 um 08:39 Uhr
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Der neue Parteichef Norbert Walter-Borjans, Kevin Kühnert rechts.
Foto: Keystone
Johannes von Dohnanyi

Ein wenig Marx, ein wenig Engels, gemischt mit Friedrich Ebert, Willy Brandt und einer Prise Helmut Schmidt – auf ihrem Parteitag in Berlin suchten die deutschen Sozialdemokraten den Weg zurück zur «reinen Lehre» ihrer ideologischen Überväter.

Doch am Ende des 6. Dezember war vom Etappenziel «Nikolaus ist GroKo-Aus», wie es Juso-Chef Kevin Kühnert vorgegeben hatte, kaum noch etwas übrig. Nach exakt sechs Stunden und zwanzig Minuten vorsichtig linkspopulistischer Reden und Debatten verabschiedeten die Genossen am Freitagabend ein SPD-typisches «Sowohl als auch»-Programm.

Anstelle des von Kühnert propagierten und von vielen Mitgliedern ersehnten sofortigen Ausstiegs aus der ungeliebten Grossen Koalition mit CDU und CSU will die neue Parteispitze demnächst – sehr freundlich – mit Kanzlerin Angela Merkel über mögliche Änderungen des Koalitionsvertrags reden.

Harmonie an allen Fronten

Von wegen Revolution mit «klaren Worten, klarem Kurs und klarer Kante»! Selbst dem stets auf Krawall gebürsteten Juso-Chef kam rechtzeitig vor seiner Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden noch die Erkenntnis, dass die SPD nur in der Regierungsverantwortung Veränderungen bewirken könne – Harmonie an allen Fronten.

Wie hatte es schon der lateinische Dichter Horaz so treffend beschrieben? Der Berg kreisste – und gebar eine Maus!

Dabei schien die Parteitagsregie alles so gut im Griff zu haben: Im Kampf um den SPD-Vorsitz hatten zwei linke Underdogs dem Regierungsflügel um Finanzminister Olaf Scholz eine überraschende Niederlage zugefügt. Mit ihrer provokanten Forderung, den Koali- tionsvertrag neu zu verhandeln, trafen Norbert Walter-Borjans (67) und Saskia Esken (58) den Nerv vieler Mitglieder: Neuwahlen schienen in greifbare Nähe gerückt.

Politrentner und Digital-Fachfrau sollens richten

Sogar den Beginn der sozialdemokratischen Zeitenwende hatten die innerparteilichen Revoluzzer auf die Minute genau festgelegt: Punkt zwölf Uhr mittags am vergangenen Freitag würden sich der aus dem Ruhestand geholte Politrentner und die bis vor kurzem weithin unbekannte Digital-Fachfrau den Delegierten präsentieren und für ihre Vision vom «Aufbruch in eine neue Zeit» werben.

Endlich wieder mutig sein! Dafür wollte die neue Doppelspitze stehen. Nach nur einmal kurz unterbrochenen 21 Jahren GroKo wieder ein unverkennbar sozialdemokratisches Profil zeigen: für eine Reichen- und Vermögenssteuer, für die Anhebung des Niedriglohns, für die Grundrente. Weg mit Gerhard Schröders Arbeitsmarktreformen!

Weg auch mit der Schuldenbremse und dem gesetzlich verankerten Diktat des ausgeglichenen Haushalts. Stattdessen ein viele Milliarden schweres Infrastruktur-Programm und deutlich ehrgeizigere Ziele in der Klimapolitik!

An der Feigheit vor dem eigenen Mut zur Courage gescheitert

Von so vielen guten linken Ideen geleitet, hatte Esken vor dem Parteitag sogar von der «30-Prozent-Wählermarke innert Jahresfrist» geträumt. Und gerne dürfte es dann auch ein wenig mehr sein. Schliesslich habe die Partei damals, als Willy Brandt Kanzler wurde, legendäre 42 Prozent eingefahren.

Aber das war, fast auf den Monat genau, vor einem halben Jahrhundert.

Seitdem hat sich die SPD kontinuierlich auf den historischen Tiefststand von 13 Prozent selbst verkleinert. Das in Berlin beschlossene «Vorwärts in die Vergangenheit»-Programm kann den Trend zu einstelligen Wahlergebnissen wohl kaum aufhalten.

Einmal mehr ist die SPD an der Feigheit vor dem eigenen Mut zur Courage gescheitert. Ein schlechtes Omen nicht nur für die Zukunft der ältesten Partei Deutschlands, sondern auch für die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen. Die bräuchte zur Verabschiedung des nächsten EU-Budgets, für die turbulenten Zeiten des Brexits sowie der Handelskonflikte mit China und den USA eine handlungsfähige Regierung in Berlin.

Statt mit aktiver politischer Gestaltung dürften sich CDU/CSU und SPD bis zu den Wahlen 2021 jedoch vor allem mit dem eigenen Seelenzustand beschäftigen.

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