Spaziergang mit Johann Schneider-Ammann
«Auch ein Bundespräsident kann es nicht schneien lassen!»

Weit und breit ist kein Schnee in Sicht. Daran kann auch Johann Schneider-Ammann nichts ändern. Viele Wintersportorte klagen über Umsatzausfälle. Aber die grösste Herausforderung wird für Schneider-Ammann sicher das Verhältnis zur EU. SonntagsBlick begleitete den FDP-Magistrat auf einem Spaziergang.
Publiziert: 27.12.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 00:51 Uhr
Von Marcel Odermatt und Joël Widmer (Text), Valeriano Di Domenico (Foto)

Ein Leben ohne Tiere könne er sich nicht vorstellen, sagt der neue Bundespräsident Johann Schneider-Ammann (63). Mit den beiden Labrador-Hunden Bayo (13) und Durga (13) ist der FDP-Magistrat am Mittwoch auf die Lueg spaziert. Es sei schön, wenn ein Tier die Spur vorgebe.

Der Hügel im Emmental ist 887 Meter hoch. Es ist ungewöhnlich mild für die Jahreszeit. Schnee ist weit und breit keiner in Sicht.

Viele Wintersportorte klagen bereits über Umsatzausfälle – auch von Kurzarbeit ist die Rede. Mit kurzfristiger Hilfe des Tourismusministers können sie nicht rechnen. «Das Wetter gehört zu den unternehmerischen Risiken», sagt der FDP-Magistrat. Der Bund unterstütze den Tourismus in den kommenden vier Jahren mit über 200 Millionen Franken – für Innovation und Marketing. «Aber auch der Bundespräsident kann es nicht schneien lassen.»

Als junger Mann joggte Schneider-Ammann oft auf die Lueg. Der Aussichtspunkt gehört zur bernischen Gemeinde Affoltern, wo er aufwuchs. «Beim Betrachten der Berner Alpen überlegte ich mir, welchen Gipfel ich als Nächstes besteigen will.» Im Alter von 26 Jahren hatte er sie alle erklommen – inklusive Eiger. «Ich wollte damals Bergführer oder Schreiner werden», so Schneider-Ammann.

Doch es kam anders. 1981 stieg der ETH-Absolvent beim Maschinenbauunternehmen seiner Frau Katharina-Schneider-Ammann ein, wurde zweifacher Vater  – mit der Kraxlerei war jetzt Schluss. «Mir fehlte die Zeit, Katharina hatte Angst, ihrem Mann und jungen Vater passiere etwas», erzählt er. Nur noch ein Mal stand er auf einem Gipfel. «Nachdem ich lange gemüdet hatte, gab sie nach. Ich ging Bergsteigen ins Bergell.»

Politisch erklimmt er am Donnerstagabend den nächsten Gipfel. Die amtierende Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (55, SP) ruft Schneider-Ammann an und übergibt dem Langenthaler das Präsidialamt.

Der neue Chef des Siebnergremiums hat Respekt vor der neuen Aufgabe: «Die Belastung für uns Bundesräte ist sehr hoch. Das Präsidium erhöht das Pensum nochmals deutlich.»

Dabei haben heute viele seiner Kritiker den Eindruck, Schneider-Ammann sei im Amt zu passiv – ein Zauderi. Nervt ihn das eigentlich? «Wo es den Staat braucht, zögere ich keine Minute. Wie in den erfolgreichen Verhandlungen mit China für das Freihandelsabkommen.» Aber in der Wirtschaftspolitik sei Zurückhaltung oft besser – neue Regulierungen und Vorschriften gefährdeten Arbeitsplätze. «Ich habe gelernt, mit der Kritik zu leben.» Was wirklich zähle, sei sein Beitrag, dass fast jedermann in der Schweiz einen Job und eine Perspektive habe.

Komplimente hole er sich ohnehin im Ausland ab, schmunzelt er. Dort werde er nämlich immer gefragt, wie es ihm gelinge, dass die Wirtschaft in der Schweiz so gut laufe.

Die grösste Herausforderung wird für Schneider-Ammann sicher das Verhältnis zur EU: Kritik an der Arbeit seiner Vorgängerin bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative blockt er sofort ab. «Simonetta Sommaruga hat in Europa das Mögliche getan.» Und er warnt vor zu hohen Erwartungen. Bevor sich die EU nicht mit den Briten zur Zuwanderung einige, werde es für die Schweiz schwierig, eine Lösung zu finden. «Das braucht Geduld, auch wenn die Zeit begrenzt ist.»

Schneider-Ammann ruft seine Hunde und macht sich an den Abstieg. Ohne Bodyguards und Sicherheitsleute wandert der Staatschef. Eine Freiheit, um die ihn andere Präsidenten beneiden.

«Wirtschftsflüchtlinge anerkennen wir nicht – zu Recht»

SonntagsBlick: Herr Bundesrat, noch immer sterben Flüchtlingskinder im Mittelmeer. Was geht Ihnen bei solchen Meldungen durch den Kopf?
Johann Schneider-Ammann:
Das ist ein Drama und macht mich sehr betroffen. Es ist der heutigen Zeit unwürdig. Unsere humanitäre Pflicht ist es, den an Leib und Leben gefährdeten Menschen Schutz zu bieten. Wer hingegen nicht bleiben darf, muss rasch zurückgebracht werden. Zentral ist auch unser Beitrag in den Krisengebieten, damit die Menschen nicht mehr flüchten müssen.

Es gibt wegen des Flüchtlingsstroms Forderungen nach Grenzschliessung.
Eine Grenzblockade ist unrealistisch. Wir wollen aber wissen, wer zu uns kommt. Man registriert und kontrolliert und muss rasch über die Aufnahme entscheiden. Wer bei uns bleiben darf, hat sich an unsere Regeln zu halten und sich zu integrieren. Das ist für die Akzeptanz der Bevölkerung entscheidend. 

Eher eine pragmatische Willkommenskultur also?
Da interpretieren Sie mich bewusst falsch. Es wäre unverantwortlich, das Signal auszusenden, wir würden alle Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben klare Asylregeln, und die sind konsequent anzuwenden. Mit denen, die kommen, gehen wir korrekt um. Im Rahmen unserer humanitären Tradition und unseren begrenzten Möglichkeiten als Kleinstaat.

Wirtschaftsflüchtlinge nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und versuchen in einer globalisierten Marktwirtschaft ihr Auskommen zu verbessern. Haben Sie Respekt vor diesen Fahnenträgern des Liberalismus?
Ich kann nachvollziehen, dass man versucht, seine Situation zu verbessern. Die heutige Welt mit globalen Möglichkeiten und modernen Kommunikationskanälen setzt die Menschen in Bewegung. Aber unser Asylrecht anerkennt Wirtschaftsflüchtlinge nicht, meiner Ansicht nach zu Recht. Wenn sie ihr Engagement, das sie in sich tragen, ihrer Gesellschaft zu Verfügung stellen, helfen sie zu Hause etwas aufzu-bauen.

SonntagsBlick: Herr Bundesrat, noch immer sterben Flüchtlingskinder im Mittelmeer. Was geht Ihnen bei solchen Meldungen durch den Kopf?
Johann Schneider-Ammann:
Das ist ein Drama und macht mich sehr betroffen. Es ist der heutigen Zeit unwürdig. Unsere humanitäre Pflicht ist es, den an Leib und Leben gefährdeten Menschen Schutz zu bieten. Wer hingegen nicht bleiben darf, muss rasch zurückgebracht werden. Zentral ist auch unser Beitrag in den Krisengebieten, damit die Menschen nicht mehr flüchten müssen.

Es gibt wegen des Flüchtlingsstroms Forderungen nach Grenzschliessung.
Eine Grenzblockade ist unrealistisch. Wir wollen aber wissen, wer zu uns kommt. Man registriert und kontrolliert und muss rasch über die Aufnahme entscheiden. Wer bei uns bleiben darf, hat sich an unsere Regeln zu halten und sich zu integrieren. Das ist für die Akzeptanz der Bevölkerung entscheidend. 

Eher eine pragmatische Willkommenskultur also?
Da interpretieren Sie mich bewusst falsch. Es wäre unverantwortlich, das Signal auszusenden, wir würden alle Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben klare Asylregeln, und die sind konsequent anzuwenden. Mit denen, die kommen, gehen wir korrekt um. Im Rahmen unserer humanitären Tradition und unseren begrenzten Möglichkeiten als Kleinstaat.

Wirtschaftsflüchtlinge nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und versuchen in einer globalisierten Marktwirtschaft ihr Auskommen zu verbessern. Haben Sie Respekt vor diesen Fahnenträgern des Liberalismus?
Ich kann nachvollziehen, dass man versucht, seine Situation zu verbessern. Die heutige Welt mit globalen Möglichkeiten und modernen Kommunikationskanälen setzt die Menschen in Bewegung. Aber unser Asylrecht anerkennt Wirtschaftsflüchtlinge nicht, meiner Ansicht nach zu Recht. Wenn sie ihr Engagement, das sie in sich tragen, ihrer Gesellschaft zu Verfügung stellen, helfen sie zu Hause etwas aufzu-bauen.

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