«Mir wird immer wieder die Frage gestellt: Bist du wirklich in der richtigen Partei?», sagt uns die Winterthurer SP-Stadträtin Yvonne Beutler (43) lachend in ihrem Büro im vierten Stock des wuchtigen Winterthurer «Superblocks» – einem hochmodernen Verwaltungszentrum, gebaut auf einem früheren Fabrikareal.
Damit ihr das in Zukunft nicht mehr passiert, engagiert sich die Vizepräsidentin der Stadt Winterthur jetzt zusammen mit den nationalen Parteigrössen Pascale Bruderer (39), Daniel Jositsch (51) und Evi Allemann (38) für eine stärkere öffentlichen Wahrnehmung des pragmatischen SP-Parteiflügels. Als ersten Schritt haben die reformorientierten SP-Politiker am Donnerstag eine noch ziemlich magere Online-Plattform aufgeschaltet, um den internen Austausch zu fördern.
«Ich will den Kapitalismus nicht überwinden. Unser System ist in den grossen Zügen gut», sagt die Finanzvorsteherin. Als die SP-Delegierten vor zwei Wochen am Thuner Parteitag für einen Moment gar die Abschaffung des Privateigentums ins Parteiprogramm aufnahmen, sei sie fassungslos dagesessen.
Noch immer ist ihr Ärger zu spüren: «Das ist derart realitätsfremd!», ruft sie aus. Und es schade ihr auch konkret in ihrem Alltag. Denn die öffentliche Wahrnehmung der SP als Partei von Kapitalismus-Überwindern und Privateigentums-Abschaffern untergrabe die Glaubwürdigkeit der sozialdemokratischen Regierungsvertreter. Beutler hat andere Prioritäten: Sie befürwortet einen gesunden Steuerwettbewerb und setzt sich mittels staatlicher Frühförderung von sozial benachteiligten Kindern für Chancengerechtigkeit ein. Für die Gehälter von Top-Managern interessiert sie sich hingegen nicht wirklich. Viel wichtiger ist ihr, dass auch der Lohn von Geringverdienern ausreicht, um am Ende des Monats die Familie zu ernähren.
«Es braucht eine andere Tonalität»
Von sich selbst sagt die Finanzpolitikerin, dass sie wie ein Taschenrechner denke – nämlich streng logisch. Ihr Vater ist Ingenieur, sie selbst studierte Jura, das hat ihr Denken geprägt. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst als Redaktorin und Produzentin des Kinderprogramms beim Schweizer Fernsehen.
Dort lernte sie, sich verständlich auszudrücken. Eine Fähigkeit, die ihr heute sehr zugute kommt. Im Stadtparlament sucht sie gerne die harte Auseinandersetzung, denn so finde man die besten Lösungen. «Ich bin keine Teflon-Politikerin, die den ganzen Tag lächelnd durch die Gegend spaziert», sagt Beutler.
Die SP-Pragmatiker ernteten für ihre Bemühungen um mehr Öffentlichkeit parteiintern auch viel Kritik. Die Parteirechten wollten sich bei den Bürgerlichen anbiedern und sich als Bundesratskandidaten präsentieren, spotteten Linkspolitiker wie der Gewerkschafter Corrado Pardini. Dafür hat Beutler wenig Verständnis. «Die sehr diffamierenden Äusserungen und persönlichen Angriffe zeigen, dass es in unserer Partei eine andere Tonalität braucht.»
Gerade für sie als Lokalpolitikerin sei eine nationale Profilierung ohnehin kein Thema. Doch die Stärkung des pragmatischen Flügels mache die SP für Leute wählbar, die einen ungezügelten Neoliberalismus ablehnen, aber das Heil auch nicht einfach im Staat sehen. Beutler ist überzeugt: «Wenn man stärker wahrnehmen würde, dass in der SP auch viele Pragmatiker politisieren, wäre die Partei erfolgreicher.»