Für die Macht des «höchsten Schweizers» steht eine unscheinbare Glocke. Natürlich nicht eine Kuhglocke, sondern eine Amtsglocke. Der Nationalratspräsident greift zu ihr, wenn ein Redner ohne Punkt oder Komma spricht, wenn das Geschwätz im Bundeshaus überbordet oder wenn eine Session beginnt.
Seit Montag schwingt ein neuer Maestro die Schelle – der SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (63). Die grosse Kammer hat ihn mit 180 von 192 Stimmen zum Nationalratspräsidenten gekürt. Damit steht der Baselbieter an der Spitze der Bundesversammlung und gilt als «höchster Schweizer». Der Titel suggeriert Macht und Einfluss, doch er ist eher symbolisch. Schliesslich erhält man keinen Herrschaftsstab, sondern eine Glocke.
Immerhin darf Nussbaumer mit der Klingel den Takt im Politbetrieb vorgeben. Er legt fest, wann der Nationalrat ein Thema behandelt, leitet die Sitzungen und vertritt das Parlament gegen aussen. Dasselbe macht seine Parteikollegin Eva Herzog (61) künftig als Ständeratspräsidentin. Zwar kann sich die Basel-Städterin nicht «höchste Schweizerin» nennen, doch als Ratspräsidentin ist sie Nussbaumer gleichgestellt.
Sie können Politikern das Wort entziehen
Den grössten Einfluss haben die beiden bei umstrittenen Themen. Stimmen gleich viele Parlamentarier für oder gegen einen Vorstoss, fällen die Ratspräsidenten den Stichentscheid. Dabei orientieren sie sich grundsätzlich am Entscheid der vorangehenden Kommission. Allerdings kommt es eher selten dazu.
Abgesehen davon stimmen die Vorsitzenden nicht ab und halten sich im politischen Zirkus zurück. Sie könnten Vorstösse einreichen und mitdebattieren, tun dies aber meist nicht. So wie ein Dirigent, der die Musik führt, ohne mitzuspielen.
Dafür schauen sie den Parlamentariern auf die Finger und sorgen für Ordnung. Sie überprüfen, ob die Vorstösse korrekt eingereicht wurden, führen eine Anwesenheitskontrolle durch und können Disziplinarmassnahmen verhängen. Dies, wenn ein Ratsmitglied gegen die Ordnungs- und Verfahrensvorschriften verstösst. Im Wiederholungsfall können sie den Politikern das Wort entziehen, sie aus einer Sitzung verbannen oder sie bei schweren Fällen bis zu sechs Monate aus den Kommissionen ausschliessen.
«Der Stuhl ist unbequem gebaut»
Letztlich aber ist der «höchste Schweizer» kein Richter, sondern ein Klassensprecher. Er sitzt einer Parlamentskammer vor, der er selbst angehört, und schaut, dass im parlamentarischen Klassenzimmer kein Chaos ausbricht. Allerdings nur für ein Jahr. Dann muss er gehen und der Vizepräsident rutscht nach. Denn die Parteien wechseln sich im Turnus ab.
«Der Schreiner hat den Stuhl des höchsten Schweizers bewusst unbequem gebaut», sagt Ruedi Lustenberger (73), der selbst gelernter Schreiner ist und von 2013 bis 2014 den Nationalrat präsidierte. «So kommt niemand auf die Idee, länger als ein Jahr auf dem Stuhl sitzen zu wollen.» Schliesslich will jeder einmal zur Glocke greifen – und durch die Session dirigieren.