Der Hauseigentümerverband kämpft mit allen Mitteln gegen die Initiative für bezahlbare Wohnungen – auch mit alten Zahlen, die mit der heutigen Wohnraumförderung nichts zu tun haben. Konkret führen die Initiativgegner «777 Millionen Franken Verluste des Bundes seit den 90er-Jahren mit Wohnbaudarlehen» an, die sich aber auf ein längst abgeschafftes Gesetz beziehen. «Damit wird das Stimmvolk in die Irre geführt!», wetterte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (58, ZH) im BLICK.
Auch ihrem Parteikollege Cédric Wermuth (33) hat das fragliche Nein-Argument den Hut gelupft. «Hier handelt es sich nicht bloss um eine politische Zuspitzung, sondern um eine effektive Tatsachenverdrehung», so der Aargauer. «Hier wird die Grenze des Zulässigen klar überschritten.»
«Schamgrenze gesunken»
Wermuth sieht den Fall beispielhaft für eine allgemeine Entwicklung. «Die Schamgrenze, mit bewussten Falschinformationen Abstimmungskampf zu betreiben, ist massiv gesunken», sagt er.
Als weitere Beispiele nennt er etwa den Gewerbeverband, der beim neuen Radio- und Fernsehgesetz vor einer 1000-Franken-Gebühr sprach. Oder SVP-Kreise, die bei der erleichterten Einbürgerung der dritten Ausländergeneration vor «Islamisten mit Schweizer Pass» warnten.
Doch auch die Linke nimmt Wermuth nicht aus: «Bei der letzten Abstimmung über die Einheitskasse behaupteten einige, dass die Prämien weit stärker gestiegen seien als die durchschnittlichen Gesundheitskosten. Das stimmt langfristig so nicht. Das stört mich auch.»
Lauterkeitskommission für Politwerbung
Wermuth sieht in dieser Entwicklung eine Gefahr für die Demokratie. «Politische Meinungen dürfen, ja müssen zugespitzt werden können», betont der SP-Mann. «Aber man sieht bei Trump oder beim Brexit, wohin das führt, wenn die nackte Lüge über Fakten plötzlich zum normalen politischen Instrument wird.»
Ihm gehe es darum, dass sich die politischen Parteien selber zu mehr Wahrheit verpflichteten. Deshalb will er derartige Falschinformationen an den Pranger stellen. Ihm schwebt eine unabhängige Instanz vor, welche politische Werbung unter die Lupe nimmt. «Es braucht eine Lauterkeitskommission für politische Werbung – allenfalls ist auch ein Modell à la Ombudsmann oder Presserat denkbar», so Wermuth.
Er wolle keine gesetzlichen Regeln, sondern eine «moralische Instanz», welche Spielregeln erarbeitet und überwacht. Er stellt sich dabei ein Gremium vor, in welchem zum Beispiel alt Bundesräte, Ex-Parlamentarier oder frühere Bundesrichter Einsitz nehmen könnten, die auch über eine gewisse Glaubwürdigkeit verfügen würden.
Tätig würde das Gremium nur, wenn es aktiv angerufen werde. Weisungen oder gar Sanktionen könnte es aber kein aussprechen. «Die Lauterkeitskommission könnte aber ihre Einschätzung und Empfehlungen abgeben», so Wermuth. «Das hätte auch eine präventive Wirkung auf die politischen Akteure.»
Vorstoss geplant
Der SP-Nationalrat will seinen Vorschlag schon am Donnerstag in der staatspolitischen Kommission einbringen. «Ich beantrage, dass wir eine Kommissionsinitiative dazu verabschieden», so Wermuth. Wenn nicht, will er im Parlament einen Vorstoss einreichen.
Ganz neu ist die Idee übrigens nicht. Im Jahr 1999 verlangte die damalige CVP-Nationalrätin Judith Stamm (85, LU) die Schaffung eines Gremiums, das während Abstimmungskampagnen zur Beurteilung zweifelhafter Aussagen in Werbetexten angerufen werden kann. Ihr Vorstoss kam 2000 im Nationalrat zwar durch, doch eine konkrete Vorlage wurde 2002 im Nationalrat dann doch versenkt.
Davon lässt sich Wermuth nicht entmutigen: «Die Zeit für einen neuen Anlauf ist reif.»