SP-Nationalrätin Min Li Marti kontert Gölä
«Lieber Gölä, hören Sie mit dem Büezer-Märchen auf»

Göläs Wut-Interview im letzten SonntagsBlick machte schweizweit Schlagzeilen. Jetzt kontert SP-Nationalrätin Min Li Marti (42). Sie erklärt, warum Büezer in ihrer Partei besser aufgehoben sind als bei SVP und FDP.
Publiziert: 02.10.2016 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 09:40 Uhr
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Min Li Marti, SP-Nationalrätin: «Etwas studieren vor dem Behaupten schadet nicht.»
Foto: SABINE WUNDERLIN

«Sie haben sich letzte Woche beklagt: ‹Die Schweiz ist zu links.› SVP und FDP würden besser zum arbeitenden Volk schauen als die Linken. Weil das sowieso nur ‹Studierte›, Philosophen und Pädagogen seien. Und das just an einem Abstimmungssonntag, als das Volk die ‹AHVplus-Initiative› ablehnte, die eben diesem arbeitenden Volk mehr Rente gebracht hätte. Letzte Woche haben die Büezer-Vertreter von FDP und SVP im Nationalrat für ein höheres Rentenalter gestimmt. Für eine Kürzung der Renten bei den Witwen und Waisen. Für eine Aufblähung der zweiten Säule und eine gezielte Unterfinanzierung der AHV. Das schadet besonders den kleinen Einkommen. Dieselben haben eine Woche zuvor dafür gestimmt, dass Steuerhinterzieher nicht nur straffrei ausgehen, sondern zur Belohnung noch ­einen Rabatt erhalten sollen. Vielleicht mögen Sie sich noch an den Hilfsarbeiter von Dürnten erinnern, der mit seiner Steuererklärung überfordert war und sie darum nicht ausgefüllt hat? Seine Steuerrechnung wurde immer grösser, bis er sie nicht mehr zahlen konnte. Ein Vorstoss von SP-Nationalrätin Jacqueline Badran wollte solchen Leuten helfen. Bei FDP und SVP fand das kein Gehör. Wer also absichtlich bescheisst, kriegt eine Belohnung. Wer nichts dafür kann, wird bestraft.

Es waren SP und Gewerkschaften, die die flankierenden Massnahmen erstritten haben. Die dafür sorgen, dass – gerade auf dem Bau – Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen gelten und nicht flächendeckend durch ausländische Unternehmen gedrückt werden können. Es waren SP und Gewerkschaften, die sich für ein tieferes Rentenalter der Bauarbeiter eingesetzt haben, weil auf dem Bau einfach irgendwann der Körper nicht mehr mitmacht. Im Übrigen, lieber Gölä – Studierte mögen doof sein, aber etwas studieren vor dem Behaupten schadet nicht: Die FDP hat sich an vorderster Front für die von Ihnen kritisierte Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative eingesetzt.

Natürlich: Ich bin eine Studierte und eine Städterin. Ein wandelndes linkes Klischee. Aber ich bin wenigstens ehrlich. Nur weil ich mal in der Fabrik gearbeitet habe, bin ich noch lange keine Büezerin. So wie Sie ebenfalls kein Büezer mehr sind. Wir sind uns einig: Büezer verdienen Respekt. Das sagen Sie selber in Ihrem Lied ‹Büezer›: ‹Mit Büro u so, hani nüt am Huet u drum isch es guet, gits di. Wöu du nid chasch schufle u pickle muesch du säge, guet gits mi ...› Heute regen Sie sich über ‹Penner vor dem Denner› auf. Ihr Leben hätte aber auch anders verlaufen können – wenn Sie zum Beispiel mit Ihrer Musik keinen Erfolg gehabt oder irgendwann auf dem Bau einen Unfall erlitten hätten. Bei ihrer Abneigung gegen Büros und Bildung wären Sie vielleicht auch mit einem Bier vor dem Denner gelandet. Jetzt haben Sie Erfolg, den ich Ihnen von Herzen gönnen mag. Und vielleicht wählen Sie auch darum bürgerlich. Dürfen Sie gerne tun. Hören Sie einfach auf mit dem Märchen, dass es gut für die Büezer sei, wenn man auf den Schwächsten rumhackt.»

Herzliche Grüsse

Min Li Marti

PS. Che Guevara lässt ausrichten, er sei ein Kommunist und habe sich soeben im Grab umgedreht.

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