Diese Woche hat Bundesrat Ueli Maurer seine Botschaft zur Unternehmenssteuerreform 17 präsentiert. Die Kinder- und Ausbildungszulagen sollen erhöht und die Dividenden stärker besteuert werden. Warum ist die SP dennoch nicht mit an Bord?
Susanne Leutenegger Oberholzer: Weil der soziale Ausgleich überhaupt nicht gewährleistet ist! Der verheerende Steuerwettbewerb der Kantone wird verschärft, die Milliardengewinne, die den Aktionären mit dem Kapitaleinlageprinzip gewährt würden, bleiben bestehen. Und die Dividenden sollen nach wie vor zu tief besteuert werden.
Wie hoch müssten sie denn besteuert werden?
Richtig wäre es, die Dividenden zu 100 Prozent zu besteuern. Arbeitnehmer versteuern ja auch ihren ganzen Lohn. Aber zuerst muss die Reform durch die Räte. Erst dann kann die SP entscheiden, ob wir das Referendum ergreifen.
Werden Sie die Vorlage noch mitberaten?
Das Geschäft soll zügig durchs Parlament, also denke ich: ja. Aber wer in die Politik geht, muss sich irgendwann Gedanken über das Aufhören machen. Und ich habe für mich entschieden, vor Ende Legislatur aus dem Nationalrat zurückzutreten. Spätestens im Dezember wird meine Nachfolgerin vereidigt.
Wie wichtig ist es für Sie, dass Ihnen eine Frau in den Nationalrat nachfolgt?
Das ist für mich zentral. Ich habe mir bereits während der vergangenen Legislatur überlegt zurückzutreten. Aber damals stand ein Mann auf dem Ersatzplatz. Es ist für mich unvorstellbar, dass die SP Baselland in Bern von drei Männern vertreten wird.
Der Entscheid dürfte Ihnen nicht leichtgefallen sein.
Für mich hat das Nationalratsmandat einen enormen Stellenwert. Politik macht ein wenig süchtig. Sie müssen verstehen, als ich begann, mich politisch zu engagieren, durften Frauen auf Bundesebene noch gar nicht abstimmen!
War es diese Diskriminierung, die Sie politisiert hat?
Das war sicher ein Grund. Hinzu kam der Kampf gegen das Atomkraftwerk Kaiseraugst, aber auch internationale Themen wie der Krieg in Vietnam. Der Antiimperialismus war für uns 68er zentral.
Sie sassen bis 1991 für die POCH im Nationalrat. Ab 1999 für die SP. Ihre Stunde kam mit dem Grounding der Swissair 2001 ...
Es hat mich damals nicht überrascht, dass die Airline ins Trudeln kam. Als die Flieger dann tatsächlich am Boden blieben, fuhr ich sofort nach Kloten an die Versammlung des Kabinenpersonals. Ab diesem Punkt ging es schlicht darum, diese Arbeitsplätze zu retten.
Was gelang.
Zum Teil. Aber das war weder die Leistung der Banken noch die des Bundesrates. Eine kleine Gruppe von Parlamentarierinnen und Parlamentarier setzte sich zusammen. Wir bildeten mit kundiger Hilfe von Peter Siegenthaler, damals Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, eine Task-Force mit dem Ziel, eine Airline zu schaffen, mitfinanziert vom Bund. Das war der Startschuss für die Swiss. Rückblickend ein riesiger politischer Erfolg. Mit einem Wermutstropfen.
Der da wäre?
Dass der Bundesrat die Swiss weit unter ihrem Wert an die deutsche Lufthansa verscherbelt hat.
Bei der UBS-Rettung konnten Sie sich hingegen nicht durchsetzen.
Der Plan der SP hätte dem Bund ein Mitspracherecht gesichert. Das halte ich bis heute für richtig. Der Bundesrat wollte davon nichts wissen. Andererseits hat sich im Bankensektor seit der Finanzkrise einiges bewegt. Als die SP Ende der 70er-Jahre eine Initiative zur Abschaffung des Bankgeheimnisses lancierte, hatten wir keine Chance. Heute ist das Steuerhinterziehergeheimnis, zumindest mit vielen Ländern, wenn auch nicht im Inland, Geschichte.
Sie haben die Wirtschaftspolitik der SP seit den 90er-Jahren mitgeprägt. Mit dem neuen Wirtschaftskonzept der Partei scheinen Sie aber nicht zufrieden zu sein.
Was bislang vorliegt, bedeutet Rückschritt. Die SP muss konkret aufzeigen, wie sie die Lebenssituation der Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen verbessern will, wie die Frauen endlich zu ihren Rechten kommen, wie die Schweiz die europapolitischen, sozialen und ökologischen Probleme wirtschaftlich lösen kann. Konzessionen an den neoliberalen Flügel darf es nicht geben. Mit dieser Logik haben die Herren Schröder, Blair und Co. die Sozialdemokratie an die Wand gefahren.