Nein, nein, nein: Er sei weder Fan von Tontaubenschiessen, noch habe er im Sinn, sich als Skydiver vom Kirchturm zu stürzen. So reagierte Christian Levrat (48) auf die BLICK-Anfrage, ihn bei einer Freizeitaktivität zu begleiten, bevor es im Januar in den Wahlkampf geht. «Aber ich lade Sie gern zu einem Fondue ein, wenn Sie darauf Lust haben», schlug der SP-Chef vor.
Lust auf Fondue? Immer. Und so verabreden wir uns mit Levrat im Café du Midi in der Freiburger Altstadt. Das Restaurant ist bekannt für seine Fondues. Zu Recht, wie im Lauf der kommenden Stunde klar wird. «Schauen Sie, ich habe fast keine Zeit für irgendwelchen Sport», erklärt der amtsälteste Schweizer Parteichef zur Begrüssung. «Es wäre mir falsch vorgekommen, für den BLICK so zu tun, als ob.»
Die Weihnachtstage sind die letzten ruhigen Momente vor zehn Monaten Wahlkampfstress ...
Christian Levrat: Ach, ich plane schon noch Sommerferien mit den Kindern. Aber ja, jetzt beginnt für die Parteien die zentrale Phase. Von Januar bis Mitte Juni gibt es kaum noch Zeit für irgendetwas anderes. Ich werde bei allen Nominationsveranstaltungen in allen Kantonalparteien dabei sein. September und Oktober – die vermeintlich heisse Phase im Wahlkampf – werde ich aber verstärkt in Freiburg sein. Ich muss ja auch noch meinen Ständeratssitz verteidigen.
Das sollte kein Problem sein.
Haben Sie eine Ahnung! Die Linke kommt in Freiburg auf etwa 35 Prozent, hier wird uns nichts geschenkt. Ich rechne mit einem harten Wahlkampf. Aber ich mag das. Der persönliche Wahlkampf ist eine Gelegenheit, Politik aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Hier sind ganz andere Themen zentral als im Bundeshaus. Das ist eine schöne Abwechslung.
Wir bestellen. Auf Anraten Levrats greifen wir zum Fondue vacherin – einer Freiburger Spezialität, die ausserhalb des Kantons fast unbekannt ist. Statt einer Mischung verschiedener Käsesorten kommt hier nur Freiburger Vacherin ins Fondue, dazu Knoblauch und – Achtung! – Wasser. Das Fondue ist zudem nur lauwarm. «Es ist sicher speziell für Auswärtige. Aber wir Freiburger essen am liebsten dieses Fondue», erklärt Levrat.
Zum Wahlkampf: Wie lautet das Ziel der SP für 2019?
Wir müssen die SVP-FDP-Mehrheit im Nationalrat brechen.
Obwohl diese Mehrheit fast nie spielt?
Wenn sie funktioniert, ist es verheerend, wie jetzt beim CO2-Gesetz. Wir müssen die drei, vier Sitze, die wir 2015 an die Rechten verloren haben, wieder zurückholen. Die Rechten haben in dieser Legislatur keine einzige brauchbare Reform zustande gebracht. Gesundheit, ältere Arbeitnehmer, Sozialhilfe – nichts. Sie sind auf der ganzen Linie gescheitert.
Diese «drei, vier Sitze» will die SP mit folgenden Themen zurückerobern: Lohnschutz, Gleichstellung, Klimawandel und Krankenkassenprämien. Christian Levrat ist sicher, das wird ein Erfolgsrezept: «Die Linke hat überall dort verloren, wo sie sich nicht mehr um die konkreten Probleme der Leute gekümmert hat. Ich bin überzeugt, dass wir gewinnen werden, wenn wir die Löhne, die Renten, die Kaufkraft der Leute ganz konkret verteidigen.»
Keine zehn Monate mehr, dann wird abgerechnet: Am 20. Oktober 2019 finden Wahlen statt, werden National- und Ständerat neu bestellt. Vor allem für die Parteispitzen sind Wahljahre intensiv. Kaum je steht sonst die Politik so sehr im Schaufenster, selten wird mit härteren Bandagen gekämpft.
Die Zeit «zwischen den Jahren» ist für Albert Rösti (51), Petra Gössi (42) und Co. die letzte Atempause vor den harten Monaten. BLICK wollte wissen: Wie verbringen die Parteichefs diese ruhige Zeit? Wo tanken sie auf? Sind sie fit für den Wahlkampf? Also haben wir sieben Parteipräsidenten begleitet – auf der Skipiste, beim Spazieren, mit dem Bike. Den Anfang machte SP-Chef Christian Levrat (48), gefolgt von CVP-Chef Gerhard Pfister (56). Am Samstag folgt BDP-Präsident Martin Landolt (50).
Keine zehn Monate mehr, dann wird abgerechnet: Am 20. Oktober 2019 finden Wahlen statt, werden National- und Ständerat neu bestellt. Vor allem für die Parteispitzen sind Wahljahre intensiv. Kaum je steht sonst die Politik so sehr im Schaufenster, selten wird mit härteren Bandagen gekämpft.
Die Zeit «zwischen den Jahren» ist für Albert Rösti (51), Petra Gössi (42) und Co. die letzte Atempause vor den harten Monaten. BLICK wollte wissen: Wie verbringen die Parteichefs diese ruhige Zeit? Wo tanken sie auf? Sind sie fit für den Wahlkampf? Also haben wir sieben Parteipräsidenten begleitet – auf der Skipiste, beim Spazieren, mit dem Bike. Den Anfang machte SP-Chef Christian Levrat (48), gefolgt von CVP-Chef Gerhard Pfister (56). Am Samstag folgt BDP-Präsident Martin Landolt (50).
Um ein weiteres Thema wird im Wahlkampf aber niemand herumkommen. Europa ist allgegenwärtig. Auch hier im Café du Midi. Denn es wird gemunkelt, dass es der Ort sei, an dem der frühere Schweizer Staatssekretär Yves Rossier (58) und der EU-Unterhändler David O'Sullivan (65) das Rahmenabkommen auf den Weg gebracht haben. Ein Rahmenabkommen, das für Levrat in der heutigen Form die Schweizer Löhne gefährdet: «Zuerst in der Baubranche. Und wenn erst einmal diese Löhne ins Rutschen kommen, können wir die Löhne insgesamt nicht mehr halten.»
Doch das Abkommen abzulehnen, würde den bilateralen Weg in eine Sackgasse führen. Eine unangenehme Situation für die eigentlich EU-freundliche SP.
Doch für Levrat ist die Frage «Wollt ihr dieses Abkommen oder keines?» falsch gestellt: «Wir müssen Brüssel ein besseres Angebot unterbreiten. Denn weder Lohnschutz noch Rahmenvertrag sind Selbstzweck. Wir brauchen beides.» Die Sozialpartner müssten einen Weg finden, den Rahmenvertrag so zu gestalten, dass das Lohnniveau der Schweiz gehalten werde. «Nach den Wahlen müssen wir mit einem solchen Angebot an die EU gelangen», so Levrats Plan.
Doch sowohl Aussenminister Cassis als auch die EU-Kommission haben klar gesagt, dass das nicht möglich sei. Entweder wir nehmen, was auf dem Tisch liegt, oder wir lassen es halt sein.
Cassis' «das oder nichts» ist eine Kapitulationserklärung. Die Linke kapituliert aber nicht.
Ah, da scheint sich eine neue Lieblingsfeindschaft zu entwickeln. Cassis und Sie schenken sich nichts, was? Letzte Woche hat Ihnen der Aussenminister vorgeworfen, ihn systematisch zu attackieren.
Mir geht es um die Sache, nicht um die Person von Cassis. Ich rede ihn nicht schlecht, wie er zu sagen pflegt. Er macht schlechte Politik. Der Aussenminister versucht, eine politische Kritik in einen persönlichen Konflikt umzuwandeln. Ich mache ab und zu durchaus harte Politik und hatte Auseinandersetzungen mit Pascal Couchepin, Toni Brunner, Jean-François Rime. Dabei galt immer: Wir führen klare Diskussionen, kämpfen mit Engagement um Argumente und Positionen. Aber ohne es in persönliche Feindschaften ausufern zu lassen. Ich werde dabei bleiben, egal, was Ignazio Cassis sagt.
Ach, kommen Sie – Sie haben Cassis einen Praktikanten genannt!
Da ging es um den Inhalt. Cassis hatte sich wie ein Anfänger verhalten. Er war verantwortlich dafür, dass der Streit mit Brüssel nach dem Juncker-Besuch Ende letzten Jahres eskalierte. Meine Äusserung war eine Einladung an Cassis, schneller im Amt anzukommen. Aber auf das tiefe Niveau, auf das er sich nun hinabgelassen hat, werde ich mich nicht begeben. Stattdessen fordere ich Cassis auf, sich so zu verhalten, wie es seinem Amt angemessen ist, und endlich zu erklären, warum er die erfolgreiche Schweizer Aussenpolitik auf den Kopf stellt.
Was meinen Sie?
Seit Flavio Cotti haben alle Aussenminister – egal aus welcher Partei – die gleichen Werte vertreten. Sei es die neutrale Position im Israel-Palästina-Konflikt, die vorsichtige Haltung zu Waffenexporten, die Verteidigung der Menschenrechte, der Multilateralismus. All diese traditionellen Positionen sind unter Cassis nichts mehr wert. Cassis macht Aussenpolitik à la Orban. Er ist zum dritten SVP-Bundesrat geworden!
Ach was! Es gibt derzeit weltweit eine nationalkonservative Welle. Cassis surft höchstens auf dieser – wie andere auch. Vielleicht sind Sie in der SP ja stehen geblieben!
Dass es diese Welle gibt, heisst nicht, dass man mit Ungarn gleichziehen muss! Als SP-Präsident sehe ich meine Rolle darin, diesen Konservatismus zu bekämpfen. Die Schweiz sollte auf der Seite der Anständigen bleiben. Doch anstatt sich der inhaltlichen Auseinandersetzung zu stellen, jammert Cassis darüber, dass man ihn für seine schlechte Arbeit kritisiert.
Das Caquelon ist leer, die unbekannte Freiburger Spezialität hat auch die auswärtigen Journalisten überzeugt. Wir kommen auf kulturelle Unterschiede zwischen Deutsch- und Westschweiz zu sprechen. Denn so, wie wir keine Ahnung vom Fondue vacherin hatten, musste sich Levrat im Sommer erst mal schlaumachen, warum Juso-Chefin Tamara Funiciello wegen eines Hits eine Sexismus-Debatte ausgelöst hat. «079 – ich kannte weder den Song noch Lo & Leduc», lacht er. Und schiebt nach: «Und dieser SVP-Sänger, wie heisst der: Gölä?»
Kommen wir zurück zum Wahljahr. Es wird Ihr dritter Wahlkampf als Parteipräsident sein. Auch Ihr letzter?
Das sehen wir nach den Wahlen. Ich muss mir selbst zwei Fragen beantworten: Erstens, habe ich noch Lust? Und zweitens, ist es gut für die Partei, weiterzumachen? Wenn die Antwort zweimal Ja lautet, bleibe ich noch, sonst nicht.